Wie offen geht es weiter in Norwegen?


KOPENHAGEN. Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat angekündigt sein Land solle noch offener und demokratischer werden. Wie offen haben sich das Land und die ganze Region Nordeuropa bisher gegeben und wie wird es weitergehen? Erste Gedanken dazu in meiner Agenda-Seite mit Lorenz Wagner in der heutigen Financial Times Deutschland (komplett derzeit nur nach Registrierung zugängig).

Seit Freitagnachmittag war ich ständig im Einsatz, um Hörfunk und Fernsehen meine Einschätzungen zu geben und für Printmedien zu schreiben. Große Tragödien rufen immer nach viel Berichterstattung, wichtig ist dabei, dass die Qualität erhalten bleibt. Wenn Vermutungen ausgesprochen werden, muss jedem Leser, Hörer und Zuschauer klargemacht werden, dass es sich nur um Vermutungen handelt und  Journalisten dürfen gerne auch einmal sagen: „Dazu kann ich zu diesem Zeitpunkt nichts sagen“. Den Ausspruch hat man von mir dieser Tage sicher häufiger gehört, doch Unwissenheit zuzugeben gehört zu professionellem Journalismus, Tatsachen zu behaupten ohne zu wissen, ob sie stimmen hingegen nicht.

Feinde der offenen Gesellschaft sorgen für Trauer nicht nur in Norwegen


KOPENHAGEN. Als gestern Nachmittag auf meinem Mobiltelefon die Meldung einer Bombenexplosion in Oslo auftauchte saß ich gerade beim Kaffee und las das Feuilleton. Das Grauen kam wie so oft unvermittelt. Immerhin sah es zunächst so aus als habe Norwegen das viel zitierte Glück im Unglück gehabt und eine zweistellige Zahl von Toten sei nicht eingetreten – die Bombenexplosion war nicht nur in der Ferienzeit geschehen, sondern auch noch am Freitagnachmittag, Norweger aber nehmen sich freitags häufig schon recht früh frei.  Dann kam die Meldung über Schüsse im Sommerlager der Jugendorganisation der Sozialdemokraten. Sie erschien auf der Startseite der Homepages norwegischer Medien, die Bombenexplosion blieb lange aber größer – schließlich waren die medialen Ressourcen vor allem damit beschäftigt. Womöglich hat sich das auch der Attentäter gedacht und die erste Explosion auch als Ablenkungsmanöver für die Polizei gedacht.

Schnell war die Befürchtung in den Medien, es handele sich um einen Terrorakt mit islamischen Hintergrund. Nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters – des 32jährigen Norweges Anders B. – sieht es anders aus. Er hat wohl einen rechten Hintergrund und in Internetforen gegen die freie Gesellschaft gewettert. Es gibt noch keine offizielle Aussage zu seinen Motiven. Doch ist eins festzuhalten: Ob islamistische oder rechte Terroristen – eins haben sie gemeinsam: sie sind Feinde der offenen Gesellschaft.

Premierminister Stoltenberg hat deutlich gemacht, dass er an der offenen Gesellschaft festhalten möchte, ja sie noch offener und noch demokratischer machen möchte. Ähnlich äußerte sich schon der schwedische Premier Fredrik Reinfeldt nachdem sich in Stockholm kurz vor Weihnachten ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte.

Rohes Fleisch wird nicht mehr produziert – Zum Tode von Lucian Freud


KOPENHAGEN. So wie es das Wort Rubens-Dame in unseren Wortschaft geschafft hat, müßte es eigentlich auf dem Freud-Leib ergehen. Wie sein Vorgänger hatte auch der Britte ein Faible für etwas fülligere Modelle, die er als Akt portraitierte. Nun ist Lucian Freud 88 jährig gestorben. Aus diesem Anlass nochmals ein Link auf meinen Vorbericht fürs Kunstmagazin art zur großen Freud-Ausstellung im Louisiana Museum 2007/2008.

Dänen in die Steuerfreiheit entlassen, zwei Wochen nach den Deutschen


KOPENHAGEN. Dänemark ist bekannt als Hochsteuerland. Da ist es kein Wunder, dass die Dänen einige Tage länger arbeiten müssen, um ihre Steuern abzubezahlen. Immer wieder wird der theoretische Tag errechnet, ab dem Steuerzahler nur noch für die eigene Tasche wirtschaften. Während das in Deutschland bereits der 6. Juli war (und damit zwei Tage später als 2010), war es in Dänemark erst am 20. Juli soweit – also ganze vierzehn Tage nach Deutschland. Dazu hier eine deutsche Meldung und hier eine dänische (beide nicht von mir). Wer beides versteht, versteht, dass die Dänen lieber Steuern zahlen als die Deutschen. Das warum aber bedarf einer umfangreicheren Recherche.

Flensburger Grenzerfahrungen


KOPENHAGEN. Beate Uhse, Kraftfahrtbundesamt und Flensburger Pilsener – das ist es, was aus der norddeutschen Stadt im Reste des Landes angekommen ist. Und seit Ende vergangenen Jahres vielleicht auch noch Simon Faber. Der hat, wie man so schön sagt, „bundesweit Aufsehen erregt“, weil er als Kandidat der dänischen Minderheitspartei SSW (Südschleswigscher Wählerverband) Oberbürgermeister von Flensburg wurde. Einen besseren Gesprächspartner kann es für den deutsch-dänischen Grenzkonflikt in der Bundesrepublik also kaum geben. Deshalb interviewte ich ihn für Focus online hier zu lesen.

Und weil sie aus Flensburg sind und fast vergessen ein Link zu Echt:

Reyles Strategies against Architecture


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KOPENHAGEN. Nicht Einstürzende Neubauten, sondern die Fassade eines Altbaus bildet den Kern des besten Werkes von Anselm Reyle in seiner aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Arken südlich von Kopenhagen. In Wernigerode – der Name der Stadt ist zugleich Titel der Arbeit – entdeckte er einst ein Haus mit einer hellblauen Fassadenverkleidung. Es muss absolut fehl am Platze ausgesehen haben, wie so manche Fassade, davon zeugt ein Bild im Ausstellungskatalog. Reyle aber kehrte die schreckliche Ästhetik ins Gegenteil um, indem er aus der Fassade ein beinah-Ready-Made und also Kunst machte. Er ließ diese entfernen, den Giebel abnehmen, so dass nur ein Rechteck – die typische Form einer Leinwand und damit von Kunst – blieb und hängte das Material um einen Rahmen (aus gebürstetem Aluminium?) ergänzt auf. Fertig das Werk. Beginnen kann hier das Nachdenken über Ästhetik, über falsches Material an bestimmten Plätzen, über die Verschandelung der Städte und Orte und die Schönheit von Kunst basierend auf industrieller Produktion.

Auch andere Werke der Ausstellung sind sehenswert. Seine Tableaus mit einfarbig überzogenem Sammelsurium lassen an Daniel Spoerris Eat Art Ferienhaustisch aus ausgerechnet Dänemark denken. Doch wirkt alles etwas sauber, zu museal, das liegt viel an der Präsentation und den Räumlichkeiten. Reyles neuere Arbeiten sind damit aber in etwa so steril und sauber wie die neueren Lieder der Einstürzenden Neubauten – Strategies against Architecture das war einmal.

Für art online schrieb ich über Anselm Reyles  aktuelle Ausstellung (hier ein älterer Text zu einer anderen Ausstellung Reyles mit ebenjenem Wernigerode – geschrieben von einem anderen).

Houellebecq ist Stieg Larssons Verdammnis


KOPENHAGEN. Perverse Männermordphantasien sind der Höhepunkt von Band eins der Millenium-Trilogie von Stieg Larsson. Grausame Gewalt und jene Kriminalromanen nunmal innewohnende Spannung hat das Buch zu bieten, ein Roman des nennen wir es schwarzen schwedischen Realismus und damit in etwa so informativ wie ein journalistischer Text. Schön und gut und vor allem Zeitvertreib, Abschalten. Magischer Realismus, Metaphern und dergleichen – dafür fehlte dem Journalisten Larsson wohl das Talent, vielleicht wäre er sonst Vollzeitautor geworden.

Ein Mordfall, der von seiner Grausamkeit denen bei Larsson in nichts nachsteht (und womöglich eine Persiflage darauf ist) ist Gewalthöhepunkt im „Karte und Gebiet“, dem neuen Buch von Michel Houellebecq. Das Werk hat darüberhinaus, was Larsson fehlt, es ist ein literarisches und damit Stieg Larssons Verdammnis (wie dies sperrige Substantiv zum deutschen Titel eines seiner Bücher werden konnte, ist übrigens nur dadurch zu erklären, dass der Lektor sonst Speisekarten für Möchtegernefranzösische Spitzenrestaurants schreibt, bei denen es vor merkwürdigen Substantiven ja ebenfalls nur so strotzt). Solange es Bücher wie „Karte und Gebiet“ gibt und die Zeit nicht unendlich ist, kann Larsson getrost liegengelassen werden.

In den USA, so berichtet die schwedische Boulevardzeitung Expressen, habe man sich auf einem Seminar übrigens gewundert, wieviel Kaffee in dem Buch getrunken werde. Eine Metapher ist aber wohl auch das nicht: in Schweden trinke man einfach so viel Kaffee, hieß es bei dem Seminar.

The grass is always greener…


MOSS. Welch ein Herrenhaus! Imposanter Bau, großer Garten und am Fuße liegt der Fjord. F15 in Moss außerhalb von Oslo ist mittlerweile Galerie und auch dieses Jahr wieder einer der Ausstellungsorte der Momentum Biennale. „Imagine Being Here Now“ lautet das diesjährige selbstgegebene Thema des fünfköpfigen Kuratorenteams.

Nun war ich also dort und musste es mir nicht nur vorstellen. Der Ausstellung war anzusehen, dass es eine große Kuratorengruppe mit unterschiedlichen Hintergründen und unterschiedlichen Ansätzen war und das diese sich zum Teil zuvor noch gar nicht gekannt hatten, vermisst wurde ein erkennbarer Zusammenhang zwischen den ausgestellten Werken. Die waren in der zweiten Örtlichkeit zudem wie in einer Messe präsentiert – nur das statt jeder Galerie eben jeder Künstler eine eigene Koje bekommen hatte. Der Reiz des Ausstellungsdesigns von Øystein Aasan war beim Besuch der Schau schwer zu erkennen, ein Blick auf seine Skizzen war da hilfreicher.

Draußen vor der Verandatür von F15 hatte Wooloo aus Kopenhagen ihr Werk präsentiert oder eben auch nicht. Denn die Künstler wollten, dass das Gras vor  dem Haus bis zur nächsten Biennale (also zwei Jahre lang) nicht mehr geschnitten wird. Das aber war den Verantwortlichen in Moss zu unordentlich. Auch auf den Kompromiss, für den Dauer der Biennale (also Juni bis Oktober) auf das Mähen zu verzichten, wollten sie sich nicht einlassen. Jeden Freitag muss die Wiese von F15 gemäht werden. Wie gehabt. Also stellten Wooloo nur ein Schild auf, auf dem sie Idee und Problematik beschrieben. Eines der interessantesten Werke der diesjährigen Momentum Biennale, geht es doch ganz konkret ohne expliziten theoretischen Ballast um die Nutzung des öffentlichen Raumes und die Offenheit für Kunst.

Bettina Camilla Vestergaard überzeugte durch eine Fotoarbeit, die einer kurzen Erklärung bedurfte, um wirklich entsprechend wertgeschätzt zu werden. In ihrer Koje hängen Fotos von Kairo und kurze Zitate. Sie ließ sich von Leuten, die sie in Kairo traf ihren Lieblingsort in der Stadt beschreiben und fotografierte diesen. Es entstand ein Portfolio mit „Geheimtipps“ jenseits der klassischen Touristenbroschüren und -führer. Nur ein Bild bleibt kommentarlos. Auch Ahmed Bassiony hatte ihr seinen Lieblingsplatz beschrieben – Leute waren ihm am Liebsten.  Bassiony starb während der Proteste gegen die ägyptische Regierung im Februar 2011. Wie sein Fotoage, das im ägyptischen Pavillon auf der diesjährigen Venedig Biennale gezeigt wurde, ein Mahnmal und Denkmal zugleich – an die Revolution in Ägypten, die Menschen und natürlich den Künstler (oder sagen wir gleich noch: die Künstler und die Künste). Beides verbindet zudem, dass durch den tragischen Tod noch mehr Bedeutung hinzu kam.

Zwei Arbeiten jedenfalls bleiben aus Moss in Erinnerung. Für das nächste Mal Momentum wäre eine klarere Linie wünschenswert und vielleicht ein Verzicht darauf, krampfhaft fünf Kuratoren (aus jedem nordischen Land einen) zusammenzubringen, die wohl so gut gar nicht zusammen passen.