Die zwei von der Pumpstation


BERLIN. Irgendwie passt es ganz gut, dass die Gesamtschule, die einmal die berühmt-berüchtigte Rütli-Schule war, gleich um die Ecke liegt; um die Ecke vom lichtdurchfluteten, eleganten Studio des Künstlerduos Elmgreen & Dragset. Denn die beiden beschäftigen sich gerne mit der Gesellschaft und zwar all ihren Facetten, am liebsten aber den extremen – mit denen, die es besonders schwer haben und mit denen, die zumindest finanziell keine Probleme haben.

Beide tauchten in der Ausstellung „Celebrity – The One & The Many“ im ZKM in Karlsruhe nicht nur im Titel auf (hier meine damalige Besprechung für art). Die alte Oberklasse, die aber gefallen ist, steht dagegen im Zentrum der aktuellen Ausstellung im Victoria & Albert Museum in London. Wer die Räume dort begeht, entdeckt einzelne Stücke, die de beiden zur Venedig Biennale vor vier Jahren im nordischen und dänischen Pavillon (so etwa den geteilten Esstisch) oder 2010 in Karlsruhe (den Jungen im Kamin) gezeigt haben.

Selber war ich noch nicht dort, habe die beiden aber vorab in Berlin zu den Ideen der Ausstellung interviewt, zu lesen ist das ganze in The Wall Street Journal hier.

 

Spieglein, Spieglein…


KOPENHAGEN. Selbstbespiegelung ist in den nordischen Ländern recht ausgeprägt, zumindest auf kollektivem Niveau. Wenn im Ausland über das eigene Land berichtet wird, ist das fast immer eine Schlagzeile wert. Schwedische Medien berichteten sogar in eigenen Artikeln, dass der Selbstmordattentäter vom Dezember in Stockholm international auf Interesse stieß – es schien als sei man stolz darauf.

Es muss wohl an einem gewissen Minderwertigkeitskomplex liegen, wenn jedes bisschen Aufmerksamkeit gleich zu einem Jauchzen führt. Aus einem großen Land mit (glücklicherweise) wenig Nationalstolz kommend, ist mir das ziemlich suspekt. Noch suspekter muss das wohl Chinesen sein. So wie Chinesen über Berlin oder München als Großstadt nur lächeln können, beschäftigen sie sich vermutlich auch nicht damit, dass ihr Land mal wieder irgendwo im Ausland in einer Zeitung steht.

Ingar Dragset vor "When a Country feels in love with itself", Kopenhagen 2008. (Foto: Bomsdorf)
Ingar Dragset vor "When a Country feels in love with itself", Kopenhagen 2008. (Foto: Bomsdorf)

Dänemark hat es mal wieder geschafft: „Anerkendt britisk avis laver hyldestguide til Danmark“ (etwa: „Anerkannte britische Zeitung bringt lobpreisenden Dänemark-Führer“) titelt die online Ausgabe der linksliberalen Tageszeitung Politiken und schreibt voller Selbstzufriedenheit, wie toll die britischen Reisejournalisten Dänemark fänden (wenngleich sie über Rassismus klagen, auch das bleibt nicht unerwähnt). The Guardian hatte die entsprechenden Texte veröffentlicht. Wer dem Link dorthin folgt, kann das englische Original lesen.

Letztlich handelt es sich um nichts Weiteres als die klassische typische recht unkritische Reisetippberichterstattung. Aber so wie sich viele Schauspieler, die den Zenit überschritten haben oder jene, die nie die Spitzenliga erreicht haben, über jeden oberflächlichen positiven Artikel über sie freuen, mag er auch noch so substanzlos sein, so ist es wohl mit manch kleinen Ländern – Hauptsache man kann den Eindruck erwecken, wahrgenommen zu werden. Manchmal ist so etwas – bei Staaten wie bei Schauspielern – tragisch zu nennen. Dabei haben die Länder hier oben wie viele andere auch doch so interessantes zu bieten, warum also jedes bisschen Aufmerksamkeit aufbauschen wie ein Profilneurotiker? Vor drei Jahren präsentierte das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen und Dragset auf der U-Turn Quadriennale (die dann doch ein Einmalereignis blieb) das Werk „When a country falls in Love with itself“ – sie stellten einen Spiegel vor dem dänischen Wahrzeichen Kleine Meerjungfrau auf.

Dies nicht aus Eitelkeit, sondern für diejenigen, die mehr lesen möchten: Für die online Ausgabe von art schrieb ich damals einen Artikel über U-Turn – zu lesen hier, im Interview, das ich im Herbst 2010 mit Elmgreen und Dragset für The Art Newspaper führte, sprechen sie auch über die Selbstbezogenheit Nordeuropas (wobei, was Michael Elmgreen hier sagt auch für Deutschland gelten dürfte – weniger für die seriöse Presse, aber die Bevölkerung als solche, dazu ein aktueller Text von Claudius Seidl aus der FAZ am Sonntag) – komplett nur in der gedruckten Ausgabe, ein Ausschnitt deshalb direkt im Blog:

TAN: Your works When a Country Falls in Love with Itself and Han clearly refer to the Little Mermaid. Ai Weiwei has also been influenced by Copenhagen’s famous sculpture. Why is it so appealing to tourists and artists?

ME: National symbols are always fun to investigate and work with. They tell us about national identity.

TAN: In Sweden, the new right-wing political party in parliament—the Sweden Democrats—argues against supporting non-figurative art. How do you feel, as Scandinavians, hearing that?

ME: It is totally out of touch with reality—the most conservative non-progressive art may be abstract art. But I’m not part of that society anymore: I am an emigrant, I moved somewhere else. I don’t lose sleep about tendencies in Scandinavia. It worries me more that three million people are homeless because of the flooding in Pakistan.

Von Venedig nach Berlin


KOPENHAGEN. Es gibt Filme, die beginnen mit einem Kracher. Das neue Porträt über das Künstlerduo Elmgreen & Dragset ist ein solcher. Das Meer, die Verheißung also ist nur einen Sprung entfernt und die Kante des Sprungbretts direkt vor der Kamera. Ein gut gebauter Jüngling dehntseinen nackten Oberkörper, schreitet das Sprungbrett entlang – und läuftgegen eine Glasscheibe. So einfach, wortlos und humorvoll lässt sich die Kunst von Michael Elmgreen und Ingar Dragset erläutern. Die Eröffnungsszene des neuen Poträtfilms „How are you“ über das dänisch-norwegische Künstlerduo ist ein simpler, doch zugleich unglaublich starker Start. Auf der Berlinale in Berlin hatte der 70-minüter vergangene Woche Premiere. Ich hatte ihn mir bereits zuvor angeschaut und für das Kunstmagazin art online besprochen – zu lesen ist das Ganze hier. Mein Interview mit den beiden erschien bereits anlässlich deren Ausstellung im Karlsruher ZKM in The Art Newspaper (online nicht zu lesen – also abonnieren), ein kurzer Hinweis zu einem ihrer jüngsten Werke hier.

Elmgreen & Dragset about Fourth Plinth


 COPENHAGEN. It has just been anounced that Danish-Norwegian artist duo Michael Elmgreen and Ingar Dragset will stand for the Fourth Plinth in London in 2012. Ahead of their show at ZKM in Karlsruhe I interviewed them for The Art Newspaper. The interview published in the December issue is unfortunately not available online (so, please order here), but I am happy to present one question and two answers dealing with the Fourth Plinth:

CB: Michael, you have moved to London and together you are shortlisted for the Fourth Plinth in Trafalgar Square. When will you both relocate and be awarded the Turner prize?
ID: We are too old already… [Not true, as the Turner prize is for artists under the age of 50].
ME: We don’t enjoy competing with our artistfriends that much. But the Fourth Plinth is a really good project. We are great believers in changing the urban landscape. It is a ridiculous idea that sculptures should be installed permanently, because the city around them changes. What a sculpture said to the generation when it was set up is absolutely not possible to understand for the next [generation], the city doesn’t fit anymore. The Fourth Plinth was so attractive that we agreed to be part of a publicshortlist competition.

EuD jetzt im Interview


Plattenbaulandschaft vor dem ZKM in Karlsruhe. (Foto: Bomsdorf)
Plattenbaulandschaft vor dem ZKM in Karlsruhe. (Foto: Bomsdorf)

KOPENHAGEN. Über die Elmgreen und Dragset-Ausstellung im Karlsruher ZKM, den dortigen Plattenbaus und Ballsaal und und und habe ich hier schon einiges geschrieben. Deshalb nur kurz der Hinweis, dass in der soeben erschienenen Dezember-Ausgabe von The Art Newspaper, nun ein großes Interview, das ich mit den beiden geführt habe, erschienen ist – erhältlich im gutsortierten Bahnhofsbuchhandel oder www.theartnewspaper.com .

Patek Philippe als Elmgreen & Dragsets neues Prada


Von Erwartungen niedergedrückt? Elmgreen & Dragsets Junge sucht Zuflucht im Kamin. (Foto: Bomsdorf)
Von Erwartungen niedergedrückt? Elmgreen & Dragsets Junge sucht Zuflucht im Kamin. (Foto: Bomsdorf)

KARLSRUHE. Niedergedrückt von der unsichtbaren Last auf den Schultern sitzt er im Kamin. Die herrschaftliche marmorne Feuerstelle ist der einzige Rückzugsort, die einzig verbliebene Nische in dem imposanten Ballsaal. Dorthin hat es den kleinen Jungen in seiner schicken Uniform verschlagen. Die verängstigt-deprimierte Haltung, die er einnimmt, ist bekannt – nicht nur womöglich aus eigener Erfahrung, sondern auch von Ron Muecks Skulptur „Boy“ (zu sehen im Kunstmuseum ARoS in Aarhus, Norddänemark).  Während es bei Muecks Jungen unklar bleibt, was diesen in die bedrückte Gemütslage versetzt hat, ist es bei dem Jungen im Kamin klar. Die Erwartungen, die an ihn gestellt werden, lasten auf ihm und hemmen ihn. Überm Kamin ist der kleine Junge nochmals zu sehen – als gemaltes Portrait. Er blickt ernst drein, zeigt aber Haltung. Braver Junge, so haben es die Eltern und sicher auch deren Bekannte gerne. Schließlich soll aus dem Jungen mal etwas werden, er soll die Tradition der reichen Familie, der der Ballsaal gehört, fortführen – wieso sonst hängt sein Bild am besten Platz im Hause. In einem Alter, in dem andere herumtollen, wird er in Uniform gezwängt und in Öl verewigt. Der Junge in doppelter Ausführung ist Teil der Ausstellung „Celebrity – The One and The Many“ des Künstlerduos Elmgreen & Dragset im ZKM in Karlsruhe (kuratiert von Andreas F. Beitin, die Ausstellung wird im kommenden Jahr dann in Aarhus im ARoS gezeigt). Der Junge ist Detail dieser Ausstellung, nicht unwesentliches, aber sie würde auch ohne ihn funktionieren (jedenfalls ist es mir gelungen eine Kritik für art zu schreiben ohne auf ihn einzugehen – hier online zu lesen). Gleichzeitig funktioniert der Junge im Kamin mitsamt Portrait so gut als eigenständiges Werk, dass es nahelegt, Elmgreen & Dragset sollten zukünftig nicht mehr Prada in ihre Werke einbeziehen, sondern Patek Philippe:

..für die nächste Generation - aktuelles Anzeigenmotiv von Patek Philippe. (Foto: Bomsdorf)
..für die nächste Generation - aktuelles Anzeigenmotiv von Patek Philippe. (Foto: Bomsdorf)

Die beiden Künstler haben bereits mehrfach das italienische Modelabel Prada in einer ihrer Arbeiten aufgenommen. Unvergessen als sie im Oktober 2001 die Fenster der New Yorker Galerie Tanya Bonakdar mit Papier von innen verhängten und „Opening Soon Prada“ im Originalschriftzug der italienischen Modemarke verkündeten – die Lieblingsmarke der globalen Kunstszene hatte anscheinend die Galerie ersetzt. In der texanischen Wüste postierten sie vier Jahre später einen Prada-Shop. Angesichts des aktuellen Werkes liegt es aber nahe, dass der schweizerische Uhrenhersteller Patek Philippe das neue Prada von Elmgreen & Dragset wird. (Natürlich) seit Jahren schaltet der Anzeigenserien mit einem Vater-Sohn-Paar aus der wohlhabenden Schicht. Der Sohn wirkt stets wie ein Abbild des Vaters, ebenfalls aufgehend in dem, was auch dieser tut. So soll es sein; auch in Zukunft. Wie der Vater so der Sohne. Bloß nicht ausscheren. Deshalb ist auch schon im Kindesalter klar, das der kleine einmal die Uhr vom Vater erben wird. Denn: „Eine Patek Philippe gehört einem nie ganz allein. Man erfreut sich ein Leben lang an ihr, aber eigentlich bewahrt man sie schon auf für die nächste Generation.“ Doch mit dem Bewusstsein einmal die Uhr an den Sohn vererben zu wollen geht einher die Erwartungen weiterzugeben. Es wäre nicht verwunderlich wenn der Vater des Jungen im Kamin einer jener traditionsbewußten Patek Philippe-Träger ist.