KOPENHAGEN. Nun fliegen sie wieder, die Jets. Der Ausbruch am Eyjafallajökull hat den Flugverkehr nur kurzfristig zum Stillstand gebracht. Doch wir kennen es aus unserem eigenen Leben, manchmal reicht es aus, kurz eine Alternative kennen zu lernen und schon ist klar: das bisherige ist es nicht gewesen. Vielleicht muss also gar nicht mehr der viel heftigere Vulkan Katla ausbrechen, um – welch ein schönes Bild – den Stein ins Rollen zu bringen. Die Zukunft bringt die Reisetradition zurück, die Distanz ist nicht mehr einzig eine ärgerliche Zahl von Kilometern, die überwunden werden muss, sondern Teil der Reise.
Henning Ritter schreibt in der FAZ vom Donnerstag, 22. April, in seiner Besprechung der Tagebücher Julius Meier-Graefes: „Meier-Graefes Tagebuch kartographiert jenes mit Beginn des Weltkriegs untergegangene kultivierte Europa, das mit Nachtzügen der Internationalen Schlafwagengesellschaft, mit so wenig Zeitverlust wie möglich, zu Bildern, Opern- und Theateraufführungen, zu den alten Kunststädten in Deutschland, Frankreich oder Italien reiste.“ 2007 als kurz nacheinander die Venedig Biennale, die Art Basel, die Skulpturenausstellung in Münster und die documenta in Kassel eröffneten, gab es die so genannte Grand Tour, die Reise von einer Vernissage zur anderen. Das bevorzugte Fortbewegungsmittel des Kunst-Jet Sets dürfte der Flieger gewesen sein. Isländischem Vulkan sei Dank wird sich bei der nächsten Häufung von Eröffnungen internationaler Ausstellungen womöglich der Kunst-Train Set auf die Schiene aufmachen.
Wenn es nicht allzu viele Umstände bereitet, ersetze ich den Flieger durch Bahn oder Boot. Venedig-Biennale, Caspar-David Friedrich-Ausstellung in Hamburg, Interview in Oslo habe ich so schon fliegerfrei erreicht. Was aber mit einer meiner Lieblingsinseln? Aus Island, wo im Mai das Reykjavík Arts Festival eröffnet wird, gibt es nämlich keine Eisenbahn.
Als die isländische Wirtschaft noch glühend heiß war und der Tanz auf dem Vulkan die Stimmung auf der Insel wohl am besten beschrieb, hatte ich das absurdeste Flugerlebnis meiner bisherigen Journalistenzeit ausgerechnet auf Island. Zum Reykjavík Arts Festival 2005 flogen Journalisten, Politiker, Künstler und Kunstliebhaber an einem Tag von Vernissage zu Vernissage über die ganze Insel. Morgens ging es mit drei Fliegern auf dem regionalen Flughafen in Reykjavík los: im ersten Flieger saß der isländische Staatspräsident mit einigen Auserwählten. Die Kultusministerin samt einigen Künstlern, Journalisten und einigen anderen in Flieger Nummer zwei und die Mäzenin und erklärte Island-Begeisterte Francesca von Habsburg flog mit dem Privatflieger hinterher. Den genauen Reiseplan habe ich gar nicht mehr im Kopf, aber es sah in etwa so aus: Start Reykjavík, 20 Minuten Flug nach Isafjördur, kurze Busfahrt zur Ausstellungseröffnung (ein beeindruckendes Werk von Elin Hansdottir, kaum war das auch nur ansatzweise angeschaut worden, hieß es auch schon wieder: zurück in den Bus), zweiter Stop nach gefühlten 10 Minuten Flug: Akureyri, dort blieb noch weniger Zeit für den Ausstellungsbesuch (Matthew Barney und Gabriela Fridriksdottir, die in dem Jahr Island auf der Biennale in Venedig vertrat), denn das Buffet und der Bus zum Flughafen warteten. Dann: Egilstadir, um nach Seydisfjördur zu kommen. Etwas längere Busfahrt, doch welche Ausstellung wir damals sahen, dass weiß ich schon nicht mehr, denn es ging ja kurz darauf natürlich mit dem Flieger bzw. mit den Fliegern – weiter auf die Westmännerinseln. Dort nächster Stehempfang, eine Performance und dann zurück nach Reykjavík. Schön, dass Island sich diese kostspielige eintägige Flugreise leisten konnte, aber sie ist auch symptomatisch: Statt Zeit für das wahre Erleben zu lassen, musste jede Möglichkeit genutzt werden und es blieb vor allem die Erinnerung an ein paar Stunden Leben in Saus und Braus.
Alain de Botton, der mit einem Schreiberstipendium in London auf dem Flughafen eingesperrt war, schreibt übrigens hier bei thefastertimes.com, wie er sich eine Welt ohne Flieger vorstellt. In Anlehnung an John Lennon beginnt sein Text mit „Imagine..“.