Spielt mir das Lied vom Sex, Nathalie, Hans, Paris und Magda!


KOPENHAGEN. Für die aktuelle Ausgabe der norwegischen Filmzeitschrift Znett habe ich einen Artikel über die Musik von Hans Berg in der Arbeit von Nathalie Djurberg sowie Magdalena Nordins Paris Hilton Verschnitt  geschrieben. Wer das Heft nicht kaufen mag oder lieber die deutsche Version des Artikels liest, dem kann mit dieser Bleiwüste geholfen werden:

„Spiel mir das Lied vom Sex

Musik, Leben und Video bei den Duos Hans Berg/Nathalie Djurberg und Magdalena Nordin/Paris Hilton

Wo man singt, da lass Dich ruhig nieder / Böse Menschen haben keine Lieder – eingestickt in einen Kopfkissenbezug hing diese Weisheit bei meiner Großmutter eingerahmt an der Wand. Sie selber spielte Ziehharmonika, auch Schifferklavier genannt und sang dazu in ihrem Chor selbstgedichtete Lieder. Die Texte habe ich vergessen, aber sie waren harmlos harmonisch. Doch war damals – ein paar Jahrzehnte nach Ende des Militarismus und der Nazi-Herrschaft in Deutschland – klar, dass böse Menschen genauso singen können wie gute. Der Spruch ist eine alte Volksliedweisheit und irgendwie haben es dennoch viele verinnerlicht bekommen, dass das Böse und Musik nicht zusammen passen. Zumal eintönige, einfältige Musik wie die eines Schifferklaviers oder Leierkastens.

Als ich das erste Mal die Filme der schwedischen Künstlerin Nathalie Djurberg sah, fiel mir direkt die einprägsam eintönige Musik auf, mit der ihre Videos untermalt waren. „Musik: Hans Berg“ hieß es bei jedem Film. Eine gewisse Repitition ist ihren Arbeiten zu eigen. „Tiger licking girls butt“, jener Film, den ich 2004 als ersten sah, trägt sogar den Untertitel „Why do I have the urge doing thess things over and over again?“. Das passt mindestens genauso gut zur Musik von Hans Berg, ihrem künstlerischen wie Lebenspartner. Besonders in den älteren Filmen klimpern seine Melodien im Hintergrund als stünde jemand mit Mini-Drehorgel am Mikrofon und würde diese lustlos betätigen. In ihrer Naivität signalisiert Bergs Musik häufig jenes „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder / Böse Menschen haben keine Lieder“ vom Kopfkissenbezug meiner Großmutter. Doch es ist wie bei Rotkäppchen und der Böse Wolf. Was sich wie Bergs Musik als großmütterlich harmlos ausgibt ist der Böse Wolf, zumindest im Zusammenspiel mit Djurbergs Videos. Dort übernimmt das harmlose Material Knetgummi die Aufgabe der Berg`schen Musik: Verharmlosung. Djurbergs Filme wirken auf den ersten Blick niedlich wie Kinderfilme, in denen Knetgummifiguren das ein oder andere harmlose und lustige Abenteuer bestehen. Bergs Musik signalisiert das gleiche: entspannte Eintönigkeit.

Doch je weiter die Handlung des Filmes voranschreitet, desto klarer wird: hier wird in menschliche Abgründe hinuntergestiegen. Dass Bergs Begleitmusik dabei meist lustig harmonisch bleibt, verstärkt den Eindruck, denn er baut einen Kontrast zu den oftmals grausamen Handlungen auf und unterstreicht, dass hier etwas vertuscht werden soll oder es sich um das Unterbewußte, das Unterdrückte handelt. Menschliches, zu tiefst Menschliches.

Die beiden Mittdreißiger beschäftigen sich in ihren Arbeiten immer wieder mit dem, was hinter den Fassaden verborgen liegt: Trieb, Moral, Phantasie und Schuld; kurz das Unbehagen in der Kultur. Berg macht die Musik dazu – meist eintönige Klänge. Im Film „Selfloathing & Humilation“ buhlt ein Mann um eine Frau. Erst als er sich in einen Hund verwandelt, der ihr willenlos zu Füßen liegt, ist sie bereit ihn zu lieben. „Florentin“ zeigt einen Mann, der mit zwei kleinen Mädchen vergnügt spielt, die ihn dann plötzlich malträtieren bis er blutig am Boden liegt. Dabei bleibt unklar, ob er sich zuvor an ihnen vergangenen hat. Die Musik würde so einen Verdacht natürlich nie nähren, so harmlos ist sie.

Djurbergs Filme mit Bergs Musik wimmeln nur so vor Sex- und Gewaltorgien. Die zwei jungen Schweden hingegen lachen im Gespräch viel, sind umgänglich und liebenswürdig freundlich. „Als Frau kann ich gewisse delikate Dinge leichter zeigen. Wäre ich ein Mann, würde den Arbeiten ganz anders begegnet werden“, sagt Djurberg und Berg ergänzt: „Wenn Männer solche Filme machen, ist schnell das Urteil gefällt, sie würden nur ihre Fantasien ausleben und es bestünde ein größeres Risiko als pervers dazustehen.“

Die Berliner Atelierwohnung der beiden erinnert an das Ersatzteillager eines Puppentheaters. Im Flur stehen Pappkartons mit Armen, Beinen und anderen Körperteilen für noch fertig zu stellende Figuren. Djurberg spielt jede Szene mit eigenhändig gefertigten Puppen – in Heimarbeit. Wie ein kleines Kind ins Spiel vertieft drückt sie Knetgummi an Drahtgestelle, um die Puppen zu formen, manchmal überzieht sie das Ganze noch mit Silikon. Immer aber bleibt erkennbar, dass die Figuren mit simplen Griffen handgemacht sind. Die Anziehsachen ihrer Darsteller fertigt Djurberg auch selber. Stets sind die Puppen weit entfernt von der glatten Ästhetik einer Barbie. Auch technisch sind ihre Arbeiten alles andere als auf dem neusten Stand. Obwohl Computer seit Jahrzehnten Animationen ermöglichen, sind ihre Filme in Stopp-Motion gemacht, also nur eine Aneinanderreihung von Einzelbildern wie sie etwa von alten Kinderfilmen bekannt sind. Doch selbst bei Pan Tau sind die Bewegungen der Figur flüssiger als bei Djurberg. Ihr extrem abgehakter Stil ist gewollt, verleiht der Ästhetik etwas Kindliches. Für jeden Schritt, jede Armbewegung, jede Träne, die fließt, muss Djurberg sich wieder zu ihren Figuren niederknien und diese entsprechend verändern. Dann geht sie zurück zur Kamera und spielt einen weiteren Bruchteil Filmmaterial ein. Inhaltlich erinnern ihre Arbeiten freilich nur auf den ersten Blick an Kinderfilme. Selten dauert es mehr als eine halbe Minute ehe aufgedeckt wird, was hinter einem scheinbar harmlosen Spiel liegt. In dieser Kombination aus kindlicher Ästhetik und die Tiefen des Erwachsenen auslotenden Inhalts ist sie Paul Mc Carthy und Mike Kelley nicht unähnlich.

Bergs Soundstudio nimmt erheblich weniger Platz ein als das Atelier, auch seine Produkte sind nicht perfekt durchdesignt, sondern erinnern eher an schnell entwickelte Fahrstuhlmusik. Perfektionismus in Bild und Ton würden der zu einem perfekt gemachten Dokumentar- oder Spielfilm passen, nicht aber zu einem Kunstfilm, in dem der Kontrast zwischen Dargestelltem und Darstellung unbedingtes Programm sind.

In „Johnny“ schaut ein Knetgummi-Junge mit viel zu großen Augen heimlich drei für Djurberg‘sche Verhältnisse attraktiv gebauten Grazien zu, wie sie sich entkleiden und zu Badenden werden. Dann wird er entdeckt, von den jungen, immer noch nackten Frauen ebenfalls ausgezogen und an einen Baum gebunden während die drei barbusig um ihn tanzen und sich an ihm reiben. Er ist wehrlos, gleichzeitig aber den Frauen so nah wie in seinen wildesten Phantasien – und bekommt eine Erektion. Schließlich verbrennt er aus heiterem Himmel. Die Lust, die Scham, die Schuld – auch in diesem Film auf beiden Seiten.

Der immer wieder kehrende Sex ist bei Djurberg anders als in einem Porno-Film mehr als die explizite Darstellung eines sexuellen Aktes, kehrt vielmehr die Seele des Menschen nach Außen. Häufig benutzt sie Sex auch als Metapher für menschliche Abhängigkeiten. Die Musik, die dazu von Berg gespielt wird, klingt verharmlosend und zeigt dadurch auf: Perversion ist Normalität. Wo man musiziert, da lass Dich ruhig nieder, böse wie Gutmenschen haben Lieder.“

Schwedischer Feminismus, Paris Hiltons Sextape und Magdalena Nordin


KOPENHAGEN. Ab und an gibt es diese Künstler, die einem auffallen und die man über längere Zeit verfolgt ehe sie womöglich groß rauskommen – oder auch nicht. Nathalie Djurberg ist eine davon gewesen, eine Ausstellung mit ihr sah ich das erste Mal im Jahr 2004 in Färgfabrikken Stockholm, mittlerweile ist sie international sehr gefragt (hier mein Interview mit ihr und Hans Berg für The Art Newspaper).

Auf Magdalena Nordins Arbeit stieß ich ein paar Jahre später. Sie ist immer noch eine recht Unbekannte, aber glücklicherweise hat das Kunstmagazin art seit diesem Jahr eine neue Serie, in der Künstler vorgestellt werden, die den Autoren und Korrespondenten aufgefallen sind, die aber (noch) nicht so bekannt sind. Unter den zehn, die den Auftakt bilden, ist Magdalena Nordin eine. Mein Kurz-Portrait ist in der Januar-Ausgabe des Magazins erschienen und jetzt auch online zu lesen. Was das mit Paris Hiltons Sextape zu tun hat? Ganz einfach, das war eine Arbeit von Nordin, die mir aufgefallen war. Und nicht nur mir, sondern auch dem in Schweden lebenden und lehrenden deutschen Künstler Olav Westphalen.

Ein wiederkehrender (Alb)Traum


LONDON. Von der Frankfurter Buchmesse zur Kunstmesse Frieze nach London zu reisen ist wie zu besten Zeiten von Karstadt zu Kaufhof zu gehen – Gedränge hier wie dort. Dazwischen in London natürlich jede Menge spannende Kunst, auf die zu konzentrieren sich schwerfällt bei soviel Leuten drumherum (und es geht hier nicht darum, dass ständig jemand gegrüßt werden soll, sondern einfach darum, dass ständig jemand durchs Bild läuft).

Santiago Sierras Totenzähler (Death Counter, 2009) bildete da eine der rühmlichen Ausnahmen – nicht nur des großen Formats wegen, sondern auch, weil er über den Köpfen der Besucher installiert war (bei Lisson Gallery). Die Schwedin Nathalie Djurberg (bei Gió Marconi), über die hier schon mehrfach berichtet wurde, hatte ebenfalls vergleichsweise Glück gehabt.

Ihr Mailänder Galerist widmete sich ganz ihren Arbeiten und so waren Filme wie Skulpturen nicht zu übersehen. Djurberg und ihr Partner Hans Berg stellen zeitgleich auch im Camden Arts Centre aus. Dort war es am Freitagabend ähnlich voll wie auf der Frieze, schließlich gab es der Krise zum Trotz einen Champagner-Empfang. Wieder einmal thematisiert sie in ihren dort gezeigten Filmen Wunsch und Wirklichkeit, Verlangen und Verzehren (ruhig wörtlich zu nehmen) – ein wiederkehrender (Alb)traum sozusagen. Dabei oder vielmehr dazwischen: ganz viel falsches Glas zu Miniatur Architekturphantasien verarbeitet. Wer bis Anfang Januar nach London kommt und ein großer Djurberg-Fan ist oder von ihr noch gar nichts gesehen hat, dem sei die Ausstellung empfohlen.

Pflege a la Nathalie Djurberg


KRISTIANSTAD. Sie ist zurückgekehrt, in die schwedische Provinz. Nathalie Djurberg, 1978 in Lysekil in Westschweden geboren, in Malmö an der Kunsthochschule studiert, ist in den vergangenen Jahren zum Nachwuchstar der internationalen Kunstszene aufgestiegen. So ganz passt das Attribut Nachwuchs gar nicht mehr. Warum bei den Werken, die sie macht und den Orten, an denen sie ausstellt, nicht einfach anerkennen, dass sie unabhängig von ihrem Alter zu einer der interessantesten Künstlerinnen der Gegenwart gehört? Nun  sind elf ihrer Filme also den Sommer im Regionalmuseum in der kleinen südostschwedischen Stadt Kristianstad zu sehen, wo Museumschef Thomas Kjellgren und Kuratorin Claudia Schaper Nathalie Djurberg hin eingeladen haben. So häufig dürfte es nicht vorkommen, dass auf der Venedig-Biennale geehrte im Jahr drauf in diese kleine Institution kommen. Doch Kristianstad hat Glück. Und mit der Stadt die Besucher der Ausstellung.

Stillbild "Once removed on my mother's side" (2008). (Foto: Courtesy of Zach Feuer Gallery, New York and Giò Marconi, Milan.)
Stillbild "Once removed on my mother's side" (2008). (Foto: Courtesy of Zach Feuer Gallery, New York and Giò Marconi, Milan.)

Once removed on my mother´s side (2008) ist der Film in der Ausstellung, der mich am meisten beeindruckt hat (auch ihre Filme aus Venedig zeigt sie, aber ohne Installation). Eine schlanke junge Frau, nackt wie bei Nathalie häufig üblich, tänzelt im Zimmer umher, steckt dann einen Nachttopf unter die Decke des Bettes, das in der Ecke steht. Ein Berg von einem Menschen muss dort drin liegen verrät der enorme Bettdeckenhügel. Der Nachttopf wird gefüllt und wieder herausgezogen, mit sichtbarem Inhalt – kaum einer der Filme von Nathalie kommt ohne irgendwelche Körperausscheidungen aus, meist sind es Tränen oder Blut, manchmal wie hier eben auch etwas anderes. Der Berg von einem Menschen wird aus dem Bett gehievt und entpuppt sich als überaus kräftige Frau mit nur einer Hand und geschwollenen Füssen. Im Knien werden diese von der jungen Frau gesalbt. Die Alte schleckt sich die Creme laut von der Haut, die Junge macht unbeirrt weiter, kämmt ihr auch die Haare, wechselt dann die Bettwäsche und dreht die Matratze um. Zeit den Berg von einem Mensch wieder zu betten; ohne das ihr Unwillen anzusehen wären macht die Junge auch dies.

Doch dann, als die Alte sich wieder hinlegt, wird die schlanke junge Frau unter dem Berg von einem Mensch begraben. Sie opferte sich auf ohne Dank zu erfahren und wird nun also begraben. Es ist keine Bösartigkeit dabei von der Gepflegten, wahrscheinlich merkt sie es nicht einmal. Undankbarkeit ist der Arbeit Lohn passt auch nicht. Die dicke Alte kriegt wohl nicht mit, was mit ihr geschieht, kann nicht danken und es vielleicht nicht einmal wertschätzen. Pflege anno 2010.