Edvard Munch Preis 2.0 an Camille Henrot


Edvard Munch Art Award - Munch's Madonna
Edvard Munch Art Award – Munchs Madonna (Foto: Munch Museum)

KOPENHAGEN. Wie kürzlich hier (und von mir in The Art Newspaper) berichtet, wird neuerdings der Edvard Munch Preis (The Edvard Munch Art Award) vergeben – nachdem ein früherer Versuch einen Edvard Munch Preis zu verliehen mehr oder weniger gescheitert war.

Kurzes Update: Der diesjährige Preis geht an die franzöische Künstlerin Camille Henrot. Die Preisverleihung wird am 12. Dezember – Munchs Geburtstag – in Oslo stattfinden und danach alle zwei Jahre wieder.

Edvard Munch Art Award - Preisträgerin Camille Henrot (Foto: Munch Museum)
Edvard Munch Art Award – Preisträgerin Camille Henrot (Foto: Munch Museum)

Die Kunst der Provokation?


Surrends jüngste Aktion - Übersetzung? Gibt´s online bei The Art Newspaper. (Foto: Surrend)

KOPENHAGEN. Kann man mit Kunst heute noch provozieren? Erregen die Blutorgien eines Hermann Nitsch, die formaldehydgetränkten Lebewesen eines Damien Hirst, die in Mixern schwimmende Fische eines Marco Evaristti beim Kunstpublikum wirklich noch Aufmerksamkeit? Oder muss man Zeichnungen wie Kurt Westergaard produzieren oder Bücher wie Thilo Sarrazin, um Reaktionen hervorzurufen (die sich dann weniger um Inhalte drehen als um Plakatives)? Dem Künstlerduo Surrend aus Dänemark ist es in den vergangenen Jahren jedenfalls immer wieder gelungen Aufmerksamkeit durch Provokation zu erregen. Manchesmal ergab sich darauf sogar eine qualifizierte Diskussion und nicht nur ein Aufschrei. In Österreich plakatierten sie „Erschießt Putin“ als ebendieser dort vor Ort war, doch das war nur vordergurndig ein Imperativ, denn klein hieß es auf dem Plakat „Journalisten?“ – kurz zuvor war Anna Politkowskaja ermordet worden. In Österreich stellte Surrend die Frage, ob Putin oder sein Umkreis in der Lage wären, solch einen Mordauftrag zu vergeben. Ähnlich plakative Motive befassten sich mit dem Kaaba, dem Heiligtum des Islam, der NPD und dem iranischen Staatspräsidenten. Es geht Surrend stets nicht darum, den Vorwurf zu debattieren. Das überlassen sie anderen. Surrend will nur der Stein des Anstoßes sein.

So auch im Frühjahr in Berlin als sie Plakate mit einer vertrauten Landkarte aufhingen. Diese zeigten ein schmales, nach Süden spitz zulaufendes Land. Dank der charakteristischen Form ist Israel eindeutig zu erkennen. Doch der Staat trägt den Namen Ramallah. Bei genauerem Hinsehen sind Heerscharen von „Ramallah“ zu sehen – jeder Ort in Israel bekam den Namen der provisorischen palästinensischen Hauptstadt. „Endlösung“ steht über der Landkarte.  Surrend hatte den größten Skandal seit Gründung erreicht. Ihre Arbeit wurde in allen führenden Feuilletons diskutiert. Und angesichts des heiklen Israel-Themas waren sich plötzlich auch überzeugte Surrend-Fans nicht mehr sicher, ob deren Plakatkunst noch bejubelnswert sei.  Wahlweise wurde Surrend nun vorgeworfen, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen oder sie wurden dafür gelobt, aufgezeigt zu haben, dass die Auslöschung Israels noch immer drohe.

Doch den beiden ging es vorgeblich um etwas anderes. „Wir wollten den in Deutschland gängigen Mechanismus aufzeigen, dass auf Kritik an Israel stets mit Antisemitismus-Vorwürfen reagiert wird“, sagt Bertelsen. Es sind solche Sätze, die einen an Surrend verzweifeln lassen. Denn wer die deutschen Medien liest, dem kann nicht entgehen, dass Israel-Kritik vorkommt, ohne entsprechende Reaktionen auszulösen. Allenfalls wenn die Auseinandersetzung mit der israelischen Politik auf satirische Weise geschieht und mit dem Holocaust in Verbindung gebracht wird, ist das ein Tabu. Weil Surrend so vorgeht, wird ihnen Antisemitismus vorgeworfen. Doch die beiden beharren darauf, dass Israel-Kritik in Deutschland nicht ohne weiteres möglich sei und erwecken deshalb den Eindruck, selber Vorurteilen zu erliegen.

Schon bald kann sich jeder selber ein Bild von Surrend und deren Aktionen machen: Ab Oktober zeigt das dänische Plakatmuseum in Århus die erste Retrospektive der Künstler. Schon jetzt gibt es in der aktuellen Ausgabe von art ein Porträt der beiden von mir (nicht online, also bitte das Heft kaufen..) und bei The Art Newspaper habe ich über ihre neuste Aktion in Spanien berichtet.

Die isländischen Dilemmata des David Byrne


Byrne Dilemma klassisch. (Foto: Bomsdorf)
Byrne Dilemma klassisch. (Foto: Bomsdorf)

REYKJAVÍK. Das Stadtbild ist während des diesjährigen Reykjavík Arts Festivals eine der großen Ausstellungsorte. Anderthalb Jahre nach dem Bankenkollaps thematisieren die Künstler natürlich die Krise. So beschäftigen sich mehrere Fotografen (Hlynur Hallsson oder Ingvar Högni Ragnarsson) der zum Teil im Freien stattfindenden Ausstellungsserie „Reality Check“ mit den sichtbaren und weniger sichtbaren Zeichen der Krise: Demonstranten, arbeitslose polnische Arbeiter und von Investoren im Stich gelassene Bauprojekte sind an Hausfassaden und Bauzäunen in der Innenstadt von Reykjavik zu sehen – gleichzeitig sind im Gericht nebenan Demonstranten angeklagt und die ersten Bankmanager sind verhaftet worden und werden – so hoffen viele Isländer – auch bald auf der Anklagebank sitzen.

David Byrne, Frontmann der Talking Heads und seit einiger Zeit bildender Künstler, nimmt ebenfalls am Reykjavík Arts Festival teil. Er bespielt Plakatständer im Stadtzentrum. Byrne stellt der Öffentlichkeit Fragen, das klingt schon beinahe etwas klischeehaft, denn Fragen stellen, da ist man sich schnell einig, das soll die Kunst. Doch, wenn Byrne mitten in der Krise zwischen Fragen zu den kleinen Dilemmata des Alltags die Isländer und natürlich uns Besucher auch fragt, was wir tun würden, wenn wir unsere Freunde gegen eine Menge Geld eintauschen könnten, dann wirkt seine Arbeit. Früher wäre diese Frage wohl nicht hervorgestochen, doch im derzeitigen Kontext ist sie etwas anderes.

Byrne Dilemma zeitgenössisch. (Foto: Bomsdorf)
Byrne Dilemma zeitgenössisch. (Foto: Bomsdorf)

Geht der Train Set auf die nächste Grand Tour?


KOPENHAGEN. Nun fliegen sie wieder, die Jets. Der Ausbruch am Eyjafallajökull hat den Flugverkehr nur kurzfristig zum Stillstand gebracht. Doch wir kennen es aus unserem eigenen Leben, manchmal reicht es aus, kurz eine Alternative kennen zu lernen und schon ist klar: das bisherige ist es nicht gewesen. Vielleicht muss also gar nicht mehr der viel heftigere Vulkan Katla ausbrechen, um – welch ein schönes Bild – den Stein ins Rollen zu bringen. Die Zukunft bringt die Reisetradition zurück, die Distanz ist nicht mehr einzig eine ärgerliche Zahl von Kilometern, die überwunden werden muss, sondern Teil der Reise.

Henning Ritter schreibt in der FAZ vom Donnerstag, 22. April, in seiner Besprechung der Tagebücher Julius Meier-Graefes: „Meier-Graefes Tagebuch kartographiert jenes mit Beginn des Weltkriegs untergegangene kultivierte Europa, das mit Nachtzügen der Internationalen Schlafwagengesellschaft, mit so wenig Zeitverlust wie möglich, zu Bildern, Opern- und Theateraufführungen, zu den alten Kunststädten in Deutschland, Frankreich oder Italien reiste.“  2007 als kurz nacheinander die Venedig Biennale, die Art Basel, die Skulpturenausstellung in Münster und die documenta in Kassel eröffneten, gab es die so genannte Grand Tour, die Reise von einer Vernissage zur anderen. Das bevorzugte Fortbewegungsmittel des Kunst-Jet Sets dürfte der Flieger gewesen sein. Isländischem Vulkan sei Dank wird sich bei der nächsten Häufung von Eröffnungen internationaler Ausstellungen womöglich der Kunst-Train Set auf die Schiene aufmachen.

Wenn es nicht allzu viele Umstände bereitet, ersetze ich den Flieger durch Bahn oder Boot. Venedig-Biennale, Caspar-David Friedrich-Ausstellung in Hamburg, Interview in Oslo habe ich so schon fliegerfrei erreicht. Was aber mit einer meiner Lieblingsinseln? Aus Island, wo im Mai das Reykjavík Arts Festival eröffnet wird, gibt es nämlich keine Eisenbahn.

Als die isländische Wirtschaft noch glühend heiß war und der Tanz auf dem Vulkan die Stimmung auf der Insel wohl am besten beschrieb, hatte ich das absurdeste Flugerlebnis meiner bisherigen Journalistenzeit ausgerechnet auf Island. Zum Reykjavík Arts Festival 2005 flogen Journalisten, Politiker, Künstler und Kunstliebhaber an einem Tag von Vernissage zu Vernissage über die ganze Insel. Morgens ging es mit drei Fliegern auf dem regionalen Flughafen in Reykjavík los: im ersten Flieger saß der isländische Staatspräsident mit einigen Auserwählten. Die Kultusministerin samt einigen Künstlern, Journalisten und einigen anderen in Flieger Nummer zwei und die Mäzenin und erklärte Island-Begeisterte Francesca von Habsburg flog mit dem Privatflieger hinterher. Den genauen Reiseplan habe ich gar nicht mehr im Kopf, aber es sah in etwa so aus: Start Reykjavík, 20 Minuten Flug nach Isafjördur, kurze Busfahrt zur Ausstellungseröffnung (ein beeindruckendes Werk von Elin Hansdottir, kaum war das auch nur ansatzweise angeschaut worden, hieß es auch schon wieder: zurück in den Bus), zweiter Stop nach gefühlten 10 Minuten Flug: Akureyri, dort blieb noch weniger Zeit für den Ausstellungsbesuch (Matthew Barney und Gabriela Fridriksdottir, die in dem Jahr Island auf der Biennale in Venedig vertrat), denn das Buffet und der Bus zum Flughafen warteten. Dann: Egilstadir, um nach Seydisfjördur zu kommen. Etwas längere Busfahrt, doch welche Ausstellung wir damals sahen, dass weiß ich schon nicht mehr, denn es ging ja kurz darauf  natürlich mit dem Flieger bzw. mit den Fliegern – weiter auf die Westmännerinseln. Dort nächster Stehempfang, eine Performance und dann zurück nach Reykjavík. Schön, dass Island sich diese kostspielige eintägige Flugreise leisten konnte, aber sie ist auch symptomatisch: Statt Zeit für das wahre Erleben zu lassen, musste jede Möglichkeit genutzt werden und es blieb vor allem die Erinnerung an ein paar Stunden Leben in Saus und Braus.

Alain de Botton, der mit einem Schreiberstipendium in London auf dem Flughafen eingesperrt war, schreibt übrigens hier bei thefastertimes.com, wie er sich eine Welt ohne Flieger vorstellt. In Anlehnung an John Lennon beginnt sein Text mit „Imagine..“.