REYKJAVÍK. So mächtig und wichtig wie viele dachten, war Ingibjörg Sólrún Gísladóttir wohl doch nicht. Zumindest stellt sie sich im Gespräch mit mir (geführt am Dienstag, 5. April 2010 in Reykjavík) als angesichts ihrer Position relative unbedeutende Politikerin da.
In den anderthalb Jahren vor dem Bankenkollaps war Gísladóttir als Chefin der Sozialdemokratischen Allianz und Außenministerin zweitwichtigste Person in der Koalition mit der Unabhängigkeitspartei. Doch, wer deshalb erwarte, dass in dem am kommenden Montag veröffentlichten Bericht des Untersuchungsausschusses viel über ihre Verfehlungen stehe, der läge falsch, so die ehemalige Spitzenpolitikerin. Wie alle, die im Bericht auftauchen, hat auch sie vorab Informationen bekommen, zu denen sie Stellung beziehen sollte. “Ich habe nur vier Seiten des Berichts gesehen”, sagte sie mir. “Ich kann nicht viel sagen. Bei mir als Außenministerin lag wenig auf dem Tisch, das mit dem Finanzsektor zu tun hatte. Das ging hauptsächlich über den Tisch des Premierministers, der für die Wirtschaft im Allgemeinen und die Zentralbank zuständig ist. Auch bei dem Ministerium für Handel (Banken) und dem Finanzministerium ging es über den Tisch, aber nur wenig im Außenministerium. Vermutlich wußten die anderen mehr als ich”, so Gísladóttir.
Premierminister Geir Haarde und Parteikollege Björgvin Sigurdsson, der für das Bankwesen zuständige Minister, sind ihrer Meinung nach also die, die befragt werden sollten.
Doch sind die beiden anders als Gísladóttir nicht so mutig, sich der Presse zu stellen. Für ihre Redebereitschaft sei sie gelobt, aber es ist verwunderlich, wenn Gísladóttir als zweite Frau in der Regierung nicht stets bestens informiert gewesen wäre. Sie war auch eine derjenigen, die sich vor dem endgültigen Zusammenbruch im Herbst 2008 aufmachten, um im Ausland für Vertrauen in das isländische Finanzwesen zu werben. Als “tragische Figur” bezeichnete sie deshalb mir gegenüber ein Isländer, der ihrer sozialdemokratischen Partei durchaus nahesteht. Schließlich habe sie sich von den Finanzfürsten so sehr einlullen lassen, dass sie ihre politischen Wurzeln vergessen habe.
Jetzt aber erinnert sie sich an diese und ist froh darüber, dass der Spuk vorüber ist und Island sich wieder in eine Gesellschaft zu verwandelnn scheint, wo die sozialdemokratischen Werte wie Gleichheit mehr zählen als in den Jahren unmittelbar vor dem Crash.