Kontemplation ohne Bilder im Moderna


STOCKHOLM. Gerade ging in Stockholm wieder das Kunstmessenwochenende zu Ende. Wie gewohnt fand am Samstag auch die Galeriennacht statt. Neu aber war, das Moderna Museet von Freitagabend um 19 Uhr bis Sonntagabend um 19 Uhr geöffnet hatte – 48 Stunden am Stück also. freq_out hieß die Veranstaltung, die auf Klangkunst setzte und schon einmal in u.a. Brüssel und Berlin veranstaltet worden war. Freitagnacht ging es recht ruhig zu im Museum – zu ruhig für ein Fest, aber dann doch zu laut, um sich auf die Musik zu konzentrieren.

Gröna Rummet unter freq_out mit Aussicht auf die Insel Djurgården. (Foto: Bomsdorf)
Gröna Rummet unter freq_out am Sonttag mit Aussicht auf die Insel Djurgården. (Foto: Bomsdorf)

Sonntagvormittag hingegen war bestens für den Gang in den Musikbereich des Moderna.Denn dann war es richtig leer und das Tageslicht draußen ließ ohnehin nicht an Party denken. Doch anders als wohl gewünscht nahm ich auch die Musik nur am Rande wahr. Stattdessen stand der Raum im Mittelpunkt. Der erste, in rotes Licht getauchte Raum wirkte sehr sakral. Nach dem Eintreten steht der Besucher einer weißen Wand gegenüber, die komplett leer ist, keine Skulptur steht davor, kein Bild hängt daran, stattdessen ist sie einfach in rotes Licht getaucht und vielleicht weil das für ein Museum so ungewöhnlich ist, halte ich kurz inne und blicke dann an der Mauer nach oben. Der Ausstellungsraum ist kein rechteckiger White Cube, sondern an der Decke ist ein Oberlicht angebracht und die Decke läuft nicht parallel zum Boden, sondern spitz auf dieses Oberlicht zu. In etwa so wie ein Kirchturm von Innen, nur flacher. Zu sehen ist das auch, wenn man hinter der Wand mitten im Raum steht. Dort, wo ein paar leere Sofas und Teppiche „zum Verweilen einladen“ wie es immer so schön heißt. Der Kunstraum ähnelt einem Kirchenraum und verleitet vielleicht zu mehr Kontemplation als wenn dort immer nur Bilder gezeigt werden.

Bei art gibt es einen ausführlicheren Bericht von mir zu freq_out.

Ein Beitrag zur Hilma af Klint-Debatte


KOPENHAGEN. Die FAZ macht im Feuilleton gerne Politik. In den vergangenen Wochen war das vor allem in der Atomkraft-Debatte zu beobachten. Frank Schirrmacher schien die Grünen und die argumentierenden (nicht blockierenden) Castor-Gegner abhängen zu wollen.

Was die Kunst angeht, ist immer wieder Ähnliches zu beobachten. Kürzlich besonders ausgeprägt wie Julia Voss für die schwedische Künstlerin Hilma af Klint warb. Die soll 2013 in einer großen Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm gewürdigt werden. Voss nun meint, dass die außer in Fachkreisen nahezu unbekannte af Klint den nahezu allen bekannten Wassily Kandinsky vom Thron stoßen werde und solle. Und zwar von jenem Thron, den Kandinsky innehabe, weil er angeblich das erste abstrakte Gemälde der Kunstgeschichte erstellt habe. Doch was ist dran?, fragten nicht nur die FAZ-Leser sich, sondern auch ich (womöglich parteiische) af Klint-Experten wie Ulf Wagner, außerdem Moderna-Direktor Daniel Birnbaum und natürlich Voss und versuche bei der online Ausgabe des Kunstmagazins art die Hintergründe etwas zu erläutern (hier mein Text).

Helsinkis Fourth Plinth


HELSINKI. Dieser Tage verändert sich das Stadtbild von Helsinki täglich. In erster Linie sind nicht künstlerische Interventionen, sondern das Wetter dafür verantwortlich. Die Schneehaufen, die die Straßenränder säumen, werden weil die Temperaturen immer länger die Nullgrangrenze übersteigen allmählich kleiner. Immerhin: Während der vergangenen rund zehn Tage trug auch die Kunst dazu bei den öffentlichen Raum anders aussehen zu lassen als sonst. Wie schon erwähnt, gastierte die dänische Künstlergruppe Superflex in Helsinki. Als Künstler der 2011er-Ausgabe des IHME-Festivals waren sie gekommen und sorgten für viel Freude. Denn Superflex ließ eines der meistgehassten Gebäude der finnischen Hauptstadt zerfallen – Alvar Aaltos Unternehmenssitz für Stora Enso (1961). Inmitten des historischen Zentrums war und ist vielen Bewohnern das Haus ein Schandfleck. Der Niedergang des Gebäudes allerdings geschah nur in einer Videoprojektion auf einer auf dem Marktplatz aufgestellten Leinwand, dahinter war für jeden zu sehen: Aaltos Bau steht weiterhin. Der Firmensitz zerfiel nur in einer 240-stündigen Videoanimation.

Das Gezeigte ist auch eine Allegorie auf den Kapitalismus und was mit diesem und damit unserer Gesellschaft passiert, wenn gedankenlos und völlig passiv agiert wird. Es ist keine klischeehafte platte Anklage an das böse System Kapitalismus, sondern vielmehr eine Aufforderung daran, aus diesem Wirtschaftssystem, das wie die Demokratie die Verantwortung bei den einzelnen Menschen belässt, das Beste zu machen.

Das auf private Initiative zurückgehende IHME-Festival setzt viel daran, sich an ein breites Publikum zu wenden. Das wird in erster Linie durch die Platzierung der Werke im öffentlichen Raum getan und auch dadurch Kunst in Auftrag zu geben, mit der leicht etwas anzufangen ist – insofern vergleichbar mit dem Fourth Plinth in London. Dort werden Künstler gebeten, den leer gebliebenen vierten Sockel auf dem Trafalgar Square zu bespielen. Der Erfolg ist umwerfend, denn das Interesse der Allgemeinheit riesig. Bleibt zu hoffen, dass es Finnland gelingt mit IHME  ähnliche Effekte zu erzielen. Das Potenzial jedenfalls ist da. Wie unten bereits erwähnt schrieb ich für The Art Newspaper einen Vorbericht zu der diesjährigen Aktion, für art habe ich mir einen Teil des Films angeschaut und eine Podiumsdiskussion mit u.a. Jennifer Allen und Daniel Birnbaum angehört. Der Bericht zu Kunstaktion und Diskussion ist hier online zu lesen.

Ein Frankfurter in Stockholm oder Birnbaums Baustelle #1


Abstellplatz oder Skulpturenpark? - Werke von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely vor dem Moderna Museet in Stockholm. (Foto: Bomsdorf)

STOCKHOLM. Seit dem Frühjahr ist freudige Erwartung die Gefühlsregung, die bestimmend für die schwedische Kunstszene ist. Denn vor knapp einem halben Jahr wurde verkündet, was viele gehofft hatten: Daniel Birnbaum wird neuer Chef des Moderna Museet.

Der Schwede, der zuletzt zehn Jahre in Frankfurt gearbeitet hat und dort Städelschule und Portikus leitete, vor allem aber nebenbei zahlreiche Ausstellungen und Biennalen kuratierte, tritt sein Amt am 1.11.2010 an.

Birnbaum nenne ich neben dem Galeristen Bo Bjerggaard immer die zwei freundlichsten und fröhlichsten Menschen des nordeuropäischen Kunstbetriebs. Alleine Birnbaums Wesen dürfte schon einmal Schwung nach Stockholm bringen. Seine besten internationalen Kontakte gepaart mit intellektuellem Schwergewicht lassen eine spannende Zukunft für das Moderna Museet erwarten. Was er sich jetzt schon so alles für seine Stockholmer Jahre überlegt hat, erzählte er mir im Interview für The Art Newspaper (Oktober Ausgabe, soeben ist aber auch eine online Version erschienen).

Was er sich dringend überlegen sollte, ist wie er mit dem Skulpturenpark umgeht, der vor dem Moderna Museet liegt. Skulpturenpark ist hier eine sehr euphemistische Bezeichnung, Wiese mit abgestellten Werken wäre wohl der treffendere Ausdruck. Richtung Moderna gehend tauchen rechts neben der Straße auf einmal Werke von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely auf. Lieblos sind sie auf einem Fleckchen Rasen deponiert, drumherum ein flacher Zaun. Fehlt nur das Türchen und das Gelände würde als Hundewiese durchgehen.

Die Hoffnungen sind groß, dass Birnbaum aus dem Moderna Museet wieder das international hoch beachtete Haus machen kann, dass es zu Pontus Hulténs Zeiten war (dessen im Nachhinein aufgedeckter legerer Umgang mit dem Urheberrecht hat seinem Nachruf noch keinen allzugroßen Abbruch getan). Hultén hat Stockholm u.a. mit Ausstellungen von Andy Warhol und eben de Saint Phalle auf die internationale Kunstlandkarte gebracht. Letztere hat 1966 die durch die Vagina zu betretende Riesen-Nanna „hon“ (sie) im Moderna Museet Stockholm aufgestellt.

Angesichts dessen ist es noch bedauerlicher, dass die Arbeiten von de Saint Phalle und Tinguely nun vor dem Hause ein solches Schattendasein fristen. Der Tinguely-Brunnen in Basel zeigt, welches Potenzial derartige Werke für urbanes Leben haben. Eine der ersten Baustellen von Birnbaum sollte deshalb die Tinguely-de Saint Phalle-Hundewiese vor dem Museum sein.

Grattis, Stockholm!


KOPENHAGEN. Seit gestern ist es amtlich: Daniel Birnbaum wird der neue Direktor des Moderna Museet in Stockholm. Einen besseren Direktor kann die schwedische Kunstszene kaum bekommen. Birnbaum gehört zu jenen Spitzenkuratoren, die derzeit die größten Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst organisieren. Er war im vergangenen Jahr Direktor der Venedig Biennale und hat die soeben eröffnete Eliasson-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau kuratiert. Birnbaum dürfte ohne Frage einer der am besten vernetzten Kuratoren für zeitgenössische Kunst sein, übertrumpft gerade einmal von Hans-Ulrich Obrist. Anders als der Schweizer wählte Birnbaum nicht die Option, Nummer zwei in einer der international absoluten Tophäuser zu sein, sondern geht lieber an das berühmteste Kunstmuseum seines Heimatlandes Schweden. Dort dürfte er der Kunstszene nicht nur aufgrund seiner besten Verbindungen ordentlich Schwung verschaffen, sondern auch wegen seiner intellektuellen Kapazität – Birnbaum hat lange die Städelschule geleitet, war früher Kunstkritiker und publiziert umfangreich wissenschaftlich und auch populär.

Zwei Kritikpunkte werden in Schweden gegen Birnbaums Ernennung vorgebracht: er ist Teil der klassischen Kunstelite und des entsprechenden Netzwerkes und werde nicht für allzu viel Neues sorgen. Doch es geht hier um das Museum für Moderne Kunst, keine alternative Ausstellungshalle, da sind seine Qualitäten sicherlich die richtigen. Linda Fagerström beklagt im schwedischen Helsingborg Dagblad, dass die Ernennung keine Überraschung sei, aber die schwedische Kunstszene gerade jetzt eine Überraschung brauche. Doch Überraschung um der Überraschung willen ist bei der Besetzung von Topposten so unangebracht wie Provokation nur um der Provokation willen in der Kunst. Fagerström bemängelt nicht nur, dass Birnbaum als einer aus dem Kreis der typischen Verdächtigen keine Überraschung sei, sondern auch, weil er ein Mann ist. Feminist, javisst – den schwedischen Ausspruch mag ich eigentlich, aber in diesem Falle wäre es falsch, Birnbaum eine Absage zu erteilen, nur, um unbedingt endlich eine Frau an die Spitze des Moderna zu wählen, auch wenn das prinzipiell sicher einmal an der Zeit wäre. Außerdem ist es kaum denkbar, dass Birnbaum auf ewig den Posten besetzen wird. In sechs Jahren soll dann eine Frau das Haus übernehmen, das er hoffentlich international so interessant macht wie einer der ersten Direktoren: Pontus Hultén.

On Olafur. Or Iceland revisited


Car in Iceland - not yet in river. (Foto: Bomsdorf)

KOPENHAGEN. Heute eröffnet im Berliner Martin Gropius-Bau die Einzelausstellung von Olafur Eliasson, Kurator ist Daniel Birnbaum. Eliasson hat sein Studio in Berlin und wurde in Kopenhagen als Sohn isländischer Eltern geboren. Alle drei Länder vereinnahmen ihn deshalb gerne für sich, was der Popularität des Populistenkünstlers (seine Ausstellungen und Werke ziehen Massen an) sicher mehr nutzt als schadet. Neben den etwa aus London und New York bekannten Rieseninstallationen, macht Eliasson auch stillere Arbeiten. So etwa die Fotoserie „Cars in Rivers„. Anlässlich der Berliner Ausstellung hier ein Auszug zu „Cars in Rivers“ aus dem Text, den ich für das französischsprachige Kunstmgazin Art Nord über Eliasson schrieb (wer meine französischen Sprachkenntnisse kennt, weiß, warum ich den Text auf Englisch abgab. Er erscheint im Juni.). Eine Arbeit, die zur aktuellen Situation nicht nur Islands passt:

„Due to the low population density and a relatively bad public transportation system private cars in Iceland play a much bigger role than in many western European countries. In large parts of the country roads as known from Germany, Finland or France are missing and one has to drive on soil, snow and even through rivers. It is not that seldom that people get stuck when trying to pass a river with their jeep. The water might be deeper than expected, the ground less solid or the driver less experienced as his self-perception told him. For his latest series of photographs titled “Cars in rivers” (2009) Eliasson collected pictures of cars that got stuck in Icelandic rivers. Again a parallel to the situation Iceland and the world is in can be drawn. Underestimating the forces of nature, overestimating your own capability is what leads to get stuck. But there is almost always a way out, though it might take time, artist Björk Viggósdóttir tells me when driving me in her car on a solid street outside Reykjavík close to the Icelandic president´s residence in Álftanes. Being Icelandic and knowing the difficulties of driving in the country for her the “Cars in rivers” series clearly relates to the Iceland of today. “Either you manage somehow to continue the direction you were heading and get out on the other side or you have to pull back, not reaching your goal at this point, but getting on the ground again”, she explains the ways out of the mess to me. A move Iceland has to do as well right now. There are off course two more options: Having to leave the car behind to safe your soul or not being able to escape at all – a very unlikely worst case scenario.“