So tickt(e) die mögliche neue isländische Premierministerin


Kathrin Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act
Katrin Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act

KOPENHAGEN. Zwei Frauen dürften in Island künftig eine stärkere Rolle spielen: die Piratin Birgitta Jónsdóttir und die Linksgrüne Katrín Jakobsdóttir. Erstere hat zwar bisher vor allem im Ausland mehr Medienaufmerksamkeit genossen, doch letztere steht der Partei mit den zweitmeisten Stimmen vor und hat bereits Regierungserfahrung. Jakobsdóttir hat also bessere Aussichten in einer neuen Koalition links der Mitte Regierungschefin zu werden. Vor einiger Zeit hatten die Piraten zudem gesagt, dass sie selbst wenn sie der größere Koalitionspartner sind, lieber eine Linksgrüne Premierministerin hätten.

Grund genug, sich Jakobsdóttir einmal genauer zu widmen. Ich habe sie mehrfach in Island und andernorts getroffen und publiziere hier gerne die deutschsprachige Version eines Interviews, das ich im Herbst 2012 am Rande der Buchmesse in Göteborg mit ihr für think:act, das Magazin von Roland Berger, führte.

„Was wir jetzt in Island erleben, ist die positive Seite der Krise“

Clemens Bomsdorf: Die europäische Banken- und Finanzkrise begann in Island. Nach dem Kollaps der isländischen Wirtschaft folgte der Einbruch in Europa. Solche Krisen kennen wir aus Filmen und Büchern, aber nicht aus dem echten Leben. Wo sehen Sie als Literaturwissenschaftlerin, die die isländische Wirtschaftskrise hautnah miterlebt hat, die Unterschiede zwischen Fiktion und Realität?

Katrín Jakobsdóttir: In der Literatur haben Krisen etwas Romantisches. Doch die Krise in Island war überhaupt nicht romantisch. Es kam alles sehr plötzlich: Wir waren vielleicht das erste Land, das abstürzte. Wir hatten dieses riesige Bankensystem, zwölfmal so groß wie unser BIP, und es brach einfach zusammen. Die Krise war in Island sehr ernst. Jetzt sehen wir die Gegenwart und die Zukunft positiver. Vielleicht werden uns diese Ereignisse eines Tages wie ein Roman vorkommen.

CB: Kurz bevor die isländischen Banken nach dem Crash nationalisiert wurden, schloss der damalige Premierminister Geir Haarde eine Ansprache mit „Gott rette Island“. Das klang wie ein Stoßgebet. Was dachten Sie, als Sie diese Worte hörten?

Kathrin Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act
Katrín Jakobsdóttir, damals isländische Kultusministerin, im Interview mit think:act

KJ: Wir waren alle sehr überrascht. Natürlich hatten sich die Geschehnisse abgezeichnet. Meine Partei hatte schon einige Zeit Schwächen des Finanzsystems aufgezeigt. Doch niemand hatte mit diesen Worten gerechnet. Dieser Moment fühlte sich surreal an, wie aus einem Film. Island hat nur knapp über 300.000 Einwohner, und wir alle erlebten diesen Moment. Alle sahen die Rede – selbst Isländer im Ausland, die sich noch als Teil unserer winzigen Nation fühlten. Jeder weiß noch, wo er war, als er diese Worte hörte.

CB: Würden Sie jetzt, vier Jahre später, sagen, dass Gott Island tatsächlich gerettet hat? Was ist mit dem Land und seinen Menschen seitdem passiert?

KJ: [lacht] Nun, wir sind immer noch da. Vielleicht hat sich das isländische Volk seitdem nicht sehr verändert. Vieles, was Island ausmacht, seine Menschen und die Gesellschaft, gibt es immer noch. Ich weiß nicht, ob Gott Island gerettet hat, aber die Dinge haben sich definitiv nicht ganz so schlecht entwickelt wie erwartet.

CB: Ihre Partei ist schon immer dagegen, dass Island der EU beitritt. Trotz aller Probleme in der Euro-Zone – hätten eine Mitgliedschaft und eine gemeinsame Währung nicht geholfen, die isländische Krise zu verhindern?

KJ: Als Politikerin weiß ich, dass man keine hypothetischen Fragen beantworten sollte! Doch die beste Antwort auf diese Frage ist wahrscheinlich Irland. Leider gab es in Irland trotz seiner Mitgliedschaft eine ähnliche Krise wie bei uns. Beide Länder hatten gemeinsam, dass sie in den letzten zwei Jahrzehnten neoliberale Politiken umgesetzt hatten. Meines Erachtens ist das der Hauptgrund für die Krise.

CB: Als die Krise ausbrach, gab es in Island Demonstrationen, die aber im Vergleich zu denen in Spanien und Griechenland kleiner und gewaltlos waren. Warum reagieren Isländer so anders als Südeuropäer?

KJ: Wenn man bedenkt, wie wenig Einwohner Island hat, dann waren die Demonstrationen gar nicht so klein. Sie zogen 15-20.000 Menschen an, also 5-7 % unserer Bevölkerung – das entspräche in Spanien 3 Millionen Menschen und 700.000 in Griechenland. In meinem Land haben Proteste keine lange Tradition. Die einzigen richtigen Demonstrationen, die es vor der Krise gegeben hatte, fanden 1949 statt, als Island der NATO beitrat.

CB: Versuchen die Isländer – statt sich zu beschweren oder zu demonstrieren – lieber, mit den Dingen klarzukommen und das zu verändern, was sie können?

KJ: Da ist vielleicht was dran. Isländer arbeiten gern an den Dingen, statt nur gegen sie zu protestieren. In der Krise ist viel Positives passiert. Ich denke da an die Nationalversammlung, wo 1.800 zufällig ausgewählte Isländer in einem Stadion zusammenkamen und über die Werte für unsere Zukunft diskutierten. So steht z. B. Vertrauen hoch im Kurs.

CB: Oft heißt es, Island könne man aufgrund seiner Größe nicht mit anderen Ländern vergleichen. Stimmt das wirklich, oder ist das nur eine Ausrede, um eine Politik wie in Island nirgendwo anders umzusetzen?

KJ: Natürlich ist es ein kleines Land, und das hilft, wenn es um demokratische Teilhabe geht. Was wir jetzt in Island erleben, ist die positive Seite der Krise. Die Menschen sind sich ihrer Rollen und Möglichkeiten besser bewusst. Das ist die wichtigste Lektion, die uns die Krise erteilt hat: Dass wir alle für unsere Gesellschaft verantwortlich sind. Jeder kann etwas tun. Ich glaube, das gilt auch für größere Länder, obwohl manche Dinge in kleineren Ländern wahrscheinlich schneller gehen.

CB: Ihre politische Karriere ist durch die Krise erst richtig in Schwung gekommen. Die Neuwahlen brachten Ihre Partei in die Regierung. Wie hat die Krise Sie noch beeinflusst? Ohne zu persönlich zu werden: Hat sich die Krise auf Ihr Konto ausgewirkt?

KJ: Fast jeder in Island war von der Krise betroffen. Als der Crash kam, sanken die Hauspreise dramatisch, und die Hypothekenrückzahlungen stiegen, da sie inflations- oder an ausländische Währungen gebunden waren. Eine Freundin meinte neulich, es sei komisch, dass ich als Regierungsmitglied denselben Ärger mit meinen Hypothekenzahlungen habe wie sie. Aber das gilt für viele isländische Politiker. Dadurch können wir die Probleme der Isländer besser verstehen. Wie wir in Island sagen: Wir bzw. die meisten von uns sitzen in derselben Suppenschüssel.

CB: Welche politischen Entscheidungen haben Ihr Ministerium und andere getroffen, um die Krise zu bewältigen?

KJ: Wir mussten drastische Haushaltskürzungen vornehmen. Wir zahlen jetzt große Summen, um unsere Schulden zu tilgen. Wir wollten das Gesundheitssystem, die Schulen und das Wohlfahrtssystem verschonen. Doch wir haben auch dort gekürzt – bis zu 10 % in drei Jahren. Die öffentlichen Ausgaben in anderen Bereichen wurden in drei Jahren um 20 % gekürzt. In meinem Ministerium haben wir bei staatlichen Einrichtungen wie Museen und Bibliotheken gekürzt. Für mich war es wichtig, die Schulen zu verschonen, nicht nur als Bildungsstätten, sondern weil dort Menschen zusammenkommen. Wenn man seinen Job verliert, ist es wichtig, nicht allein zu sein. Durch den Ausbruch der Krise haben die Menschen das Vertrauen in das Finanzsystem und die Politiker verloren, aber sie glaubten immer noch an das Bildungssystem. Alle, ganz gleich welcher Herkunft, gehen zur Schule. Bildung ist kostenlos, und Schulen schaffen demokratisches Bewusstsein und Gleichheit.

CB: Island hat vom Internationalen Währungsfond (IWF), der von einigen für seine neoliberale Politik kritisiert wird, einen Kredit bekommen. Es heißt, die von Ihrer Regierung ergriffenen Maßnahmen entsprächen nicht den vom IWF in der Regel geforderten Reformen. Stimmt das?

KJ: Nun, wir sind noch nicht mit allen Maßnahmen fertig. Aber alles in allem haben Sie Recht. Die Beantragung des IWF-Kredits war m. E. ein verzweifelter Akt. Ich hatte gesehen, was der IWF von afrikanischen Ländern verlangt – drastische Haushaltskürzungen, Privatisierung etc. Wir haben Haushaltskürzungen vorgenommen, aber wir haben nicht viel von dem umgesetzt, was der IWF i.d.R. empfiehlt. Privatisierung stand nach der Krise nicht auf dem Plan, nur vorher, als wir eine rechte Regierung hatten. Aber die Menschen stehen diesem Prozess mittlerweile kritisch gegenüber, da sie merken, dass sie weniger Macht haben, wenn man Dienstleistungen privatisiert, und dass Abgeordnete nichts mehr zu sagen haben. Ich denke, Island hat die Krise ganz gut überstanden.

CB: Island hat Kapitalkontrollen eingeführt, um die Wirtschaft besser zu lenken. Momentan sind die Wechselkurse künstlich. Es sieht aus, als gehe es Island relativ gut. Aber ist das nicht eine weitere Blase – eine, die platzen könnte, wenn die Kapitalkontrollen gelockert werden?

KJ: Die Lockerung der Kontrollen wird sich auf jeden Fall auswirken. Wie das aussehen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine sehr schnelle Lockerung, wie sie einige wollen, würde der Wirtschaft definitiv einen Schlag versetzen. Die jetzige Regierung findet, man solle die Dinge langsam angehen.

CB: Um zur Literatur zurückzukommen: Bücher fordern manchmal unsere Ansichten und Gedanken heraus, indem sie uns neue Dinge erleben lassen. Die Isländer lesen mehr als andere Nationen. Hat ihnen die Literatur durch die Krise geholfen?

KJ: Ich glaube, schon. Isländische Autoren haben die Krise als Hintergrund für ihre Bücher genommen. Ich habe meine Magisterarbeit über isländische Kriminalliteratur geschrieben: Viele Krimis aus den Jahren 2008 und 2009 handeln von unehrlichen Bankern oder Politikern, die ermordet wurden. Also ja, ich glaube, wir haben die Literatur – Kriminalromane, aber auch ernstere Stoffe – therapeutisch genutzt.

Island aktuell: EM und Präsidentschaftswahl


MÜNCHEN. Island hat es dieser Tage einmal wieder geschafft, groß in die Medien zu kommen. Das Fußballteam des kleinen Inselstaates schlägt sich erstaunlich wacker gegen die Ronaldos dieser EM. Montag spielt Island also gegen England – mal sehen, ob es dann auch im Achtelfinale zu einem Teil-Brexit kommt.

Am morgigen Samstag werden bereits ein paar Isländer ausscheiden und zwar bei der Präsidentschaftswahl. Aktuellen Umfragen zu Folge dürfte die Wahl klar der Geschichts-Professor Gudni Th. Jóhannesson gewinnen.

Dessen Wahl könnte für Island in etwa das bedeuten, was in der Business-Welt „disruption“ genannt wird. Ihn zum Präsidenten zu machen könnte das Land ähnlich stark verändern wie ein Regierungswechsel.

Das hat 3 Gründe:

1) Gudni als Präsident würde heißen Ólafur Ragnar Grímsson ist nach einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr Staatspräsident.

Der hat diese Position länger gehabt als ein Baby braucht, um zum Teenager zu werden – und länger als viele für angebracht halten. Kein Zweifel, Ólafur Ragnar genoß daheim und international ein gewisses Ansehen, aber in den vergangenen Jahren wurde er immer selbstherrlicher. Alleine wie er sich schon vor der letzten Wahl (die er dann gewann – hier mein damaliger Artikel für Die Welt) und auch vor dieser kurzfristig umentschied und dann doch nochmal antrat, war eines demokratischen Präsidenten kaum würdig. Letztlich stand er auch für die alte Elite, die schon vor dem Crash viel Macht hatte. Bei der morgigen Wahl tritt er nicht einmal mehr an, ob sein Rückzug damit zu tun hat, dass Gudni seinen Hut in den Ring geworfen hat, weiß nur der noch amtierende Präsident selber.

2) Gudni als Präsident heißt Davíd Oddsson bekommt dieses Amt nicht.

Davíd Oddsson von der Unabhängigkeitspartei war von 1991-2003 Premierminister, dann kurzzeitig Außenminister bevor er 2005 Direktor der Zentralbank wurde. Mit der problematischen Art der Bankenprivatisierungen wurde unter seiner Regierung die Grundlage für die Finanzblase gelegt, der er als Zentralbankchef nichts hat entgegensetzen können. Er taucht denn auch auf der Liste „25 People to Blame for the Financial Crisis“ des Time Magazine auf. Danach wurde er einer der mächtigsten Medienpersönlichkeiten des Landes – als Chefredakteur von Morgunbladid (angesichts dessen sei hier schon einmal auf meinen aktuellen Text zur Pressefreiheit in Nordeuropa für European Journalism Observatory verwiesen). Würde er nun zum Staatsoberhaupt aufsteigen, wäre das zu tiefst Bananenrepublikstil.

3) Gudni als Präsident heißt einfach Gudni as Präsident.
Entspannt, intelligent und mit einer Handvoll Kinder repräsentiert er, was nicht nur Ausländer an Island mögen. Wie ich vor einigen Monaten in Kopenhagen erleben konnte, ist Gudni nicht nur ein guter Unterhalter, sondern er vermag gleichzeitig auch die nicht immer leicht zu durchschauende Lage auf Island zu vermitteln. Neben diesem Talent ist er zudem ein noch recht junges und neues Gesicht in der isländischen Politikszene. So wird er das Land nicht nur durch seine Reden und Handlungen nach vorne bringen können, sondern auch, weil er als eine Art Outsider einen anderen Status hat.

Auf ein Neues auf Island


KOPENHAGEN. Im Zug gen Kopenhagen erreichte mich gestern Nachmittag die Nachricht, dass der isländische Präsident Olafur Ragnar Grimsson auch das zweite Gesetz über die Icesave-Entschädigungszahlungen an Großbritannien und die Niederlande nicht unterschreiben mag. Deshalb wird es also ein zweites Referendum in der Angelegenheit geben. Das erste wurde vor knapp einem Jahr abgehalten und führte zu einer überwltigenden Mehrheit gegen den vorgelegten Rückzahlungsvorschlag. Nun sind die Bedingungen für Island besser, aber eine Zustimmung ist alles andere als sicher. Meine Texte zur Volksabstimmung im vergangenen Frühjahr gibt es zum Beispiel hier (Zeit online) oder hier (Die Welt).

Björk d`Islandia


Wo bitte geht´s zum nächsten Geysir? Island ist reich an nachhaltigen Energiequellen. (Foto: Bomsdorf)
Wo bitte geht´s zum nächsten Geysir? Island ist reich an nachhaltigen Energiequellen. (Foto: Bomsdorf)

LINKÖPING (pa taget). Die isländische Pop-Sängerin Björk kämpft wieder gegen den Verkauf Islands. Vor etlichen Jahren hatte sie lautstark (wie sonst bei ihr?) gegen das Staudammprojekt in der isländischen Natur demonstriert. Derzeit wettert sie gegen den Verkauf isländischer Energiequellen, genauer gesagt Verträge über deren sehr langfristige Nutzung. Das kanadische Unternehmen Magma hat sich bei HS Orka aus Island eingekauft. Doch die Sängerin findet, dass die Ressourcen in isländischer Hand bleiben sollten. Den aktuellen Stand des Streits fasse ich in einem Artikel in der heutigen Welt zusammen (online hier zu lesen) – übrigens ist es die Ausgabe, die Georg Baselitz gestaltet hat.

Desert Island


Wenn der Schnee nicht wäre, sähe es noch mehr nach Wüste aus - isländische Landschaft auf der Halbinsel Snæfellsnes. (Foto: Bomsdorf)
Wenn der Schnee nicht wäre, sähe es noch mehr nach Wüste aus - isländische Landschaft auf der Halbinsel Snæfellsnes. (Foto: Bomsdorf)

KOPENHAGEN. Island ist ganz bestimmt nicht die erste Assoziation wenn das Wort „Wüste“ in den Raum geworfen wird. Sahara, Paris-Dakar, Afrika mögen in den Sinn kommen, aber doch nicht Island, die Vulkaninsel im Nordatlantik. Doch, wer einmal dort war, dem wird nicht entgangen sein, dass Island recht kahl ist. Kein Baum, nirgends. Das war nicht immer so. Als Island vor über 1000 Jahren besiedelt wurde, gab es noch Wald.

Kein Baum, nirgends - Island ist die Insel ohne viel Vegetation. (Foto: Bomsdorf)
Kein Baum, nirgends - Island ist die Insel ohne viel Vegetation. (Foto: Bomsdorf)

Doch trotz der kargen Landschaft ohne nennenswerte Vegetation gibt es auf dem Inselstaat laut der Definition des in Bonn ansässigen UN-Wüstensekretariats keine Wüste. Isländische Wissenschaftler sind darüber verärgert und wollen ihr Land als Wüstenstaat anerkannt bekommen – Desert Island sozusagen. Sie erforschen, warum Island vegetationsarm geworden ist, was das bedeutet, wie dagegen vorgegangen werden kann und was andere Länder von Island lernen können. Genau diese Aspekte werden auch in dem Artikel behandelt, den ich für die Wochenzeitung „Das Parlament“ geschrieben habe und der hier online zu lesen ist.

Auf zur Walfangbeobachtung


KOPENHAGEN. Walfang und Whalewatching – im Hafen von Reykjavík herrscht die friedliche Koexistenz. Links des Piers liegen die mit Harpunen bewaffneten Walfangschiffe und rechts die mit Ferngläsern ausgestatteten Boote für die Walbeobachtung. Dass Island eine Walfangnation ist, wurde den die Meeressäuger liebenden Touristen nie verschwiegen, doch näher anschauen durften sie sich die Boote bisher nicht. Schließlich werden im Zoo auch keine Fasanenjagden veranstaltet. Gunnar Bergmann Jónsson will das ändern und den Island-Touristen etwas ganz Besonderes bieten: „Whalewatching mit einem Walfänger“. Jónsson ist Chef der Firma Hrefnuveiðimenn, zu deutsch Zwergwalfänger. Noch übernächste Woche will er die ersten Touristen mit auf sein Boot Hrafnreyður nehmen. „Wir wollen den Leuten zeigen, was Walfang wirklich bedeutet, ihnen die Geschichte und die Jagd heute nahebringen“, sagt Jónsson. So seien es spanische und norwegische Jäger gewesen und nicht isländische, die vor einigen hundert Jahren den Walfang vor Islands Küste begonnen hätten. Jónsson will den Gästen auch zeigen, dass der Beschuss der Wale so grausam nicht ist. „Wir haben hochmoderne Harpunen aus Norwegen, normalerweise sterben die Tiere binnen einer Sekunde. Töten ist nie schön, aber ich sehe da keinen Unterschied zur Schlachtung eines Hühnchens“, so Jónsson. Zum Abschluss der Tour zeigt er den Gästen die Walfleischfabrik. Ein sehr humanes Programm und ganz anders als das, was die Touristen im neusten Film des isländischen Star-Autoren Sjón geboten bekommen.

Bei einer Walbeobachtungstour geraten sie in die Hände von penetranten Walfängern. Die Begegnung endet in einem einzigen Gemetzel – Menschen nicht Wale werden harpuniert. Titel des Films: Reykjavík Whale Watching Massacre. In der Financial Times Deutschland ein Text von mir zum Thema (nur in der Printausgabe zu lesen, dafür aber auf Seite 1).

Ist Island wirklich auf dem Weg?


KOPENHAGEN. Im Annäherungsprozess Islands an die Europäische Union geht es Schlag auf Schlag: Nach dem Beitrittsantrag im Juli 2009 folgte der Kandidatenstatus im Juni 2010, und seit Dienstag führen der Staatenbund und der Inselstaat nun auch Beitrittsverhandlungen. Schon in zwei bis drei Jahren könnte Island EU-Mitglied werden, heißt es. Doch die Isländer haben dabei mehr als ein kleines Wörtchen mitzureden. Erst wenn die Bevölkerung in einem Referendum Ja zum Beitritt sagt, kann dieser besiegelt werden. Doch sollte die Stimmung auf der Insel nicht noch umschlagen, sieht es momentan nicht danach aus. Mehr Details zu den Streitigkeiten heute auch in meinem Text in der Welt (online hier zu lesen).

Die junge Nation und das Meer


Auch ohne EU ein sicherer Hafen: Walfang- (hinten) und Fischerboote (vorne) im Hafen von Reykjavík (Foto: Bomsdorf)
Auch ohne EU ein sicherer Hafen: Walfang- (hinten) und Fischerboote (vorne) im Hafen von Reykjavík (Foto: Bomsdorf)

KOPENHAGEN. Gerade traf ich auf ein isländische Bekannte und natürlich sprachen wir auch von der EU. Sie meint, in der derzeitigen Lage sei es hoffnungslos über einen Beitritt zu verhandeln. Island würde dann aufgrund der problematischen wirtschaftlichen Lage nur über den Tisch gezogen. Lieber 15 Jahre warten und dann einen neuen Anlauf starten.

Mittlerweile dürfte ich mit fast allen isländischen Freunden und Bekannten über die EU gesprochen haben und habe in etwa das Bild bekommen, das auf die Gesamtbevölkerung auch Meinungsumfragen ergeben: Eine Mehrheit lehnt den Beitritt ab.

Der Fisch, der Fisch! lautet das klassische Argument. Der kleine Inselstaat müsse befürchten die Hoheit über seine riesigen Fischgründe zu verlieren, so ein Argument gegen die EU. Den Walfang, wie vom Staatenbund gefordert, aufzugeben, ist das Land auch nicht bereit. Island ist gerade einmal seit etwas mehr als 60 Jahren selbständig und ein kleines Land, die Angst in einem Staatenbund unterzugehen ist groß.

Mehr Informationen? Über den aktuellen Stand der EU-Debatte auf Island schrieb ich einen Text für die Themenausgabe der Zeitung „Das Parlament“ (online hier zu lesen).

Oh, Du lieber Haraldur


Haraldur Jónssons Behälter im Felleshus der nordischen Botschaften, Berlin. (Foto: Bomsdorf)
Haraldur Jónssons Behälter im Felleshus der nordischen Botschaften, Berlin. (Foto: Bomsdorf)

BERLIN. Vom Aufstieg und Fall Islands war an dieser Stelle schon einiges zu lesen. Auch davon, wie Boom und Bust von der isländischen Kunst aufgenommen wurden. Derzeit gibt es die Gelegenheit das zu sehen, ohne nach Island reisen zu müssen. Im Felleshus der nordischen Botschaften in Berlin ist noch bis 11. Juli die Ausstellung „EXKURS – Isländische Kunst in außergewöhnlichen Zeiten“ zu sehen (kuratiert von Markús Thor Andrésson).

Haraldur Jónsson (übrigens der Sohn des Architekten Jón Haraldsson, der die faszinierende Kirche von Stykkisholmur entworfen hat) zeigt das Werk „Behälter – Plastikbehälter (oder anschaulicher: Kinderbadewannen) verschiedener Größe“. Alle sind sie mit einem sehr gleichmäßigen Loch im Boden versehen. Das Kinderlied „Ein Loch ist im Eimer“ zwingt sich nahezu auf. Jónsson, der perfekt Deutsch spricht, dürfte es wohl kennen (zudem ist es auch von Harry Belafonte gesungen in einer englischen Version berühmt geworden, ob es nun so hörenswert ist, wie es Applaus bekommt, ist eine andere Sache). Geld, das Elixier der Wirtschaft, ist auf Island in den vergangenen Jahren einfach weggeflossen. (In dem Zusammenhang ist ein weiteres Kinderlied angebracht: Oh, Du lieber Augustin)

Seither ist auf Island die Diskussion um den Neuaufbau der Gesellschaft in vollem Gange. Eine oft wiederholte Forderung ist, dass die Verfassung mehr Elemente der direkten Demokratie bekommen müsse. Libia Castro und Ólafur Ólafsson haben schon Anfang 2008 ihre Interpretation der isländischen Verfassung geschaffen und diese singen lassen. Die beiden werden übrigens Island auf der nächsten Biennale in Venedig vertreten.