This is world announcement – I’m happy


MALMÖ. Fast zehn Jahre ist es her, dass Christoph Schlingensief beim Reykjavík Arts Festival seinen Animatograph präsentierte – eine Drehbühne, die einen Einblick in sein Universum und Denken gab (hier mein damaliger Text für den Rheinischen Merkur).  Seit 2010 ist der Künstler leider tot. Doch seine Arbeit wird Dank Aino Laberenz weiter gezeigt. Derzeit in der Kunsthalle Malmö, wo der Animatograph erneut aufgebaut wurde.

In Reykjavík stand das Gebilde in einem engen Raum des Künstlerhauses Klink og Bank, die Kunsthalle Malmö besteht aus nur einem großen Ausstellungsraum, weshalb kleinere hineingebaut wurden. Beim Eintritt in den zentralen Raum mit der Drehbühne ist es als wäre es wieder 2005. Schlingensiefs Truppe, der ich damals das zuerst beim Empfang des isländischen Präsidenten begegnete, taucht in den vielen Filmen auf, einer ruft ständig mit verstellt hoher, leicht ins keifende schlagende Stimme „This is world announcement – I’m happy“. Die Wiederholung wird natürlich noch dadurch unterstrichen, dass wer auf der Drehbühne steht alle paar Minuten an dem entsprechenden Video, das sich nicht mitdreht, vorbeikommt. „This is world announcement – I’m happy.“

Wer in Malmö ist, sollte hingehen zur von der neuen Direktorin der Kunsthalle, Diana Baldon, kruatierten Ausstellung. „This is the world announcement – I’m happy.“

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Speer und wer?


KOPENHAGEN. Seit kurzem ist es soweit – das von Lars von Trier konzipierte Gesamtkunstwerk „Gesamt“ ist fertig (zu viele „von“ und „gesamt“ in diesem Satz, aber ein zu viel passt bei dieser Arbeit ganz gut). „Disaster 501 – What happened to Man?“ lautet der neue Titel – das klingt nach Christoph Schlingensief (hier ein kurzer Nachruf und hier ein Text über meine Begegnung mit ihm beim Reykjavik Arts Festival) und ein wenig passt das, schließlich ist auch das neuste Filmprojekt des Dänen ein wenig anarchistisch. Der Regisseur hat sechs Kunstwerke ausgewählt, damit wer sich dazu berufen fühlt, davon inspiriert selber ein Ton- oder Bild-Werk erstellt und digital an von Triers Mitarbeiterin Jenle Hallund sendet, die daraus „Desaster 501“ gemacht hat (organisiert hat das Ganze Christian Skovbjerg Jensen).

Zu den Kunstwerken zählte unter anderem eine Episode aus August Strindbergs Stück „Der Vater“, „D’où Venons Nous / Que Sommes Nous / Où Allons Nous“ von Paul Gauguin, der Molly-Monolog, der James Joyce „Ulysses“ beendet, sowie Albert Speers Zeppelintribüne. Passend dazu und beinahe um Aufmerksamkeit buhlend, startet die Homepage http://www.gesamt.org mit einer Grafik, die einen Martin Kippenbergers Titel „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ innerlich ausrufen lassen. Lars von Trier did it again. Er provozierte mit Nazi-Bezügen. Nicht sonderlich originell.

Was von dem gesamten Film zu halten ist, habe ich bei art online geschrieben.

(U)nabhängige Menschen auf Island


REYKJAVIK. Olafur Eliasson, Hans-Ulrich Obrist, Marina Abramovic – zu Boom-Zeiten gab sich die globale Kunstelite beim Kunstfestival in Reykjavik ein Stelldichein. Geld, um diese Leute einzufliegen, war schließlich genug da. Doch damit ist es seit Herbst 2008 vorbei. Damals stürzte Island als erstes europäisches Land in die Finanzkrise. Erstaunlich schnell ist es wieder auf die Beine gekommen. Wegen hoher Schulden ist Geld für große Kunstfestivals trotzdem weiter rar. Deshalb heißt der Kurator beim diesjährigen Reykjavik Arts Festival nicht Hans-Ulrich Obrist, sondern Jonatan Habib Engqvist und statt Abramovic & Co. nehmen die Aktivisten von Anonymous sowie bekannte, aber vom Starruhm weit entfernet Künstler wie Superflex oder Thierry Geoffrey am Festival teil. Das passt, soll auf Island doch ein für alle mal die Zeit des Konsums um des Konsums willen vorbei sein. Aber, ob das wirklich der Fall sein wird, zeigt sich wohl erst, wenn das Land sich Mega-Konsum wieder leisten könnte.

Engqvist hat dem Festival den Titel (I)ndependent People gegeben – die Anlehnung an das Buch von Islands Nobelpreisträger Halldór Laxness ist offensichtlich. Lediglich die zwei etwas seltsam gesetzen Klammern machen den Unterschied.

Mein Artikel zum Festival ist in Arbeit. Bis dahin Links zu zwei Texten, die ich zu früheren Kunstfestivals auf der Insel schrieb – damals gab es noch viel mehr Geld: Hier bei art online und hier im Rheinischen Merkur (Christoph Schlingensief lud den Text damals ganz in Piratenmanier hoch, ohne sich die Erlaubnis einzuholen..).

In Memoriam Christoph Schlingensief


KOPENHAGEN. Manche Tode gehen einem recht nahe, auch wenn man die Verstorbenen nicht wirklich kannte.

Gestern ist im Alter von nur 49 Jahren Christoph Schlingensief gestorben. Zwei, dreimal sind wir uns begegnet, stets im Zusammenhang mit isländischer Kunst.

Während des Reykjavík Arts Festival 2005 zeigte er seinen Animatograh in der isländischen Hauptstadt. Ich habe Schlingensief kurz nach einem Auftritt auf einem Podium in Reykjavík interviewt und er war sogleich sympathisch. Er war sichtlich begeistert sein Werk zu erläutern, auch jenen, die nur Ausschnitte daraus kannten, jegliche Arroganz des intellektuell Überlegenen ließ er missen (ganz anders als ein weiterer Teilnehmer, der während des Gesprächs kurz vorbeischaute und meinte ein paar coole Kommentare ablassen zu müssen). Da ich es zuvor nicht geschafft hatte, den Animatograph in Aktion zu sehen, vereinbarten wir ein weiteres Treffen, um uns die Installation gemeinsam anzuschauen.

Der lange Christoph holte den kurzen Clemens mit einem Auto ab, das so klein war, dass er Probleme haben musste, seine Beine darin unterzubringen, doch später sollten die langen Beine Schliengensiefs noch von Nutzen sein. Es war Sonntag. Gemeinsam mit seiner Freundin Aino fuhren wir also an den Stadtrand, wo ich den Animatograph in Aktion sehen sollte. Zuvor hatte es mit der Drehfunktion der runden Bühne Probleme gegeben.

Völlig müde nach einigen Empfängen, Interviews und schließlich einer Vernissage mit Olafur Eliasson hatte ich in der Nacht zum Samstag noch einen Text über das Festival für die „Premieren des Wochenendes“-Rubrik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben. Ob meiner Müdigkeit war ich beim Absenden des Textes nicht in der Lage zu bewerten, ob dieser den Ansprüchen denn wirklich genüge. Dass dem wohl so war, erfuhr ich dann von Christoph, der mir im Auto als eine der ersten Dinge erzählte, dass ihm ein Freund einen Text aus der FAZ am Sonntag zur Festivaleröffnung geschickt hatte. Er konnte sich zwar nicht erinnern, wer der Autor war, doch schnell stellten wir fest, dass es mein Text gewesen sein musste – das Niveau hatte also trotz Übernächtigung meinerseites gestimmt. Christoph Schlingensief als der Überbringer guter Nachrichten.

Nach einer geschätzten viertel Stunde Fahrtzeit kamen wir am Stadtrand an, wo Christophs Installation stand. Er erläuterte mir alles und bat mich dann, die Drehbühne zu betreten. Plötzlich begann diese sich zu drehen und vor meinen Augen glitt die dekorierte Wand des Raumes lang – ein interessanter Anblick in Kombination mit der dekorierten Bühne. Im Hintergrund immer wieder der eindringliche Ausruf aus einem seiner Filme: „This is a security announcement“ (eigentlich war es wohl the world announcement, aber durch die Betonung brannte es sich für mich danach security announcement ins Gedächtnis ein – dazu später mehr). Die Rundreise wollte ich natürlich auskosten, jetzt, wo die Bühne wieder ging und blieb sicher fünf bis zehn Minuten auf dieser stehen.

Als ich heruntertrat sah ich an einer Ecke plötzlich Christoph vor mir liegen – mit den Füßen trat er den Bühnenrand und setzte diese so in Bewegung. Der Motor war mitnichten wieder funktionstüchtig und es muss ihn einiges an Kraft gekostet haben, die Bühne und mich so lange in Schwung zu halten. Mir war das Ganze ein wenig unangenehm, trotzdem musste ich lachen als ich ihn da so vor mir auf dem Boden liegen sah. Doch Christoph winkte ab, die Anstrengung war ihm nicht zu viel, um sein Werk zu zeigen. (Auf seiner offiziellen Homepage ist mein Text, den ich damals für den Rheinischen Merkur schrieb, noch zu lesen; der aus der FAS ist leider nicht online zugänglich, ich werde diesen aber aus dem Archiv suchen und hier online stellen.) 

Zur Eröffnung des Reykjavík Arts Festival standen zahlreiche Vernissages und ein Empfang beim isländischen Präsidenten auf dem Programm. Um nicht als der unpassend unelegant gekleidete deutsche Journalist in die Gedächtnisse einzugehen, hatte ich gleich mehrere Anzüge mitgenommen. Mit denen in der Hand traf Christoph mich dann wieder auf dem Flughafen in Reykjavík. Nun musste er lachen. Als wir uns dann ein halbes Jahr später auf dem Art Forum in Berlin wiedertrafen, begrüßte er – der stets auf (nach)lässige Art gut gekleidet war – mich mit „Da ist ja der Mann mit den vielen Anzügen“.

Die Begegnungen mit Christoph kommen mir immer mal wieder in den Sinn und stets zu zwei Begebenheiten: wenn ich meine schicke, sündhaft teure italienische Hose anziehe – während des Gesprächs mit ihm rutschte mir der Kugelschreiber aus und der helle Stoff hat seither einen blauen Strich – und jedesmal, wenn ich auf einem Flughafen bin. Das eindringliche „This is a security announcement“ aus seinem Werk, das ja vor jeder auf den Flughäfen ständig wiederholten Warnung, das Gepäck nicht unbeaufsichtigt stehen zu lassen etc. wiederholt wird, ist für mich für immer mit ihm und dem auf Island gezeigten Werk verbunden.

Auf der kommenden Venedig-Biennale sollte Christoph Schlingensief den Deutschen Pavillon bespielen; was auch immer jetzt daraus wird, die Vernissage in Venedig wird eine zweite Trauerfeier werden.