Dänische Alternativen für Deutschland


Rechte Sprüche bei den Sozialdemokraten - Dänisches Wahlplakat 2015. (Foto: Bomsdorf)
Rechte Sprüche bei den Sozialdemokraten – Dänisches Wahlplakat 2015. (Foto: Bomsdorf)

BERLIN. Rechtspopulistische Parteien sind keine Neuheit in nationalen Parlamenten. In Dänemark sitzt die Dansk Folkepartei (DF), die Dänische Volkspartei, schon seit fast 20 Jahren im Folketinget.

Das muss man erstmal schaffen: Parteigründung 1995, erstmals ins Parlament eingezogen 1998 – und in der Opposition de facto Regierungsmacht 2001 bis 2011 sowie seit 2015. Die Dänische Volkspartei ist seit langem ein bedeutender Faktor in der dänischen Politik – sehr zum Schaden vor allem der Sozialdemokraten. „Die DF hat ihnen Themen weggenommen. Seit sie aber bereit sind, auch strammere Integrations- und Flüchtlingspolitik zu diskutieren, stabilisiert sich die Lage der Sozialdemokraten“, urteilt Kasper Hansen, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Kopenhagen.

Die DF ist auch so stark geworden, weil die klassischen Parteien lange nicht über Herausforderungen der Migration reden wollten und es versäumt haben, ihre eigenen Lösungsvorschläge zu präsentieren. Nun treibt die Partei Sozialdemokraten wie Konservative vor sich her.

Aus dem Erfolg der Rechten in Dänemark kann gelernt werden. Vor allem, dass Wähler nicht technokratisch von oben herab behandelt werden wollen, dass sie und nicht nur die Politik Agenda setting betreiben wollen und dass es nicht viel nutzt, irgendwann auf einmal die harte Linie der Rechten quasi zu kopieren. Was der langanhaltende und fast stetig größer werdende Erfolg der Dänischen Volkspartei über den Umgang mit der AfD und deren Wählerpotenzial lehren kann, habe ich in einem längeren Beitrag für „Internationale Politik und Gesellschaft“ erläutert. Online hier zu lesen. Ein früherer Blogbeitrag zum Thema mit einem Hinweis auf einen Artikel von mir in der Internationalen Politik steht hier, ein weiterer hier.

Nach Stockholm: Ein Beitrag zur Terror- und Journalismusdebatte


Kommentare zu meinem DW-Kommentar
Kommentare zu meinem DW-Kommentar (Screenshot)

MAILAND. Vorvergangenen Freitag wurde ein Anschlag in der Stockholmer Innenstadt verübt. Ähnlich wie in Berlin raste ein LKW durch die Fußgängerzone und der Fahrer ermordete so vier Menschen. Vier Menschen, die ihren Angehörigen entrissen wurden und deren Leben durch Terror gewaltsam beendet wurde. Eine schreckliche Tat, die dazu geführt hat, dass viele Schweden öffentlich ihr Mitgefühl ausgedrückt sowie der Polizei gedankt haben.

Über die Hintergründe des mutmaßlichen islamistischen Terroristen habe ich unter anderem für Zeit online (hier über die schwedischen Reaktionen und hier unmittelbar nach der Tat) berichtet und auch einen Kommentar für die Deutsche Welle geschrieben. Auf Artikel und Kommentar wurde wiederum mit einigen Leserkommentaren geantwortet. Die Debatten, die das Internet ermöglicht, sind eine hervorragende Möglichkeit, das Meinungsmonopol (wenn man es denn so nennen möchte) der Journalisten zu brechen.

Ziemlich häufig jedoch, geht es längst nicht um Debatten, sondern was in den Kommentarspalten zu lesen sind, sind Pauschalverurteilungen und Wutausbrüche. Als Antwort auf einige Kommentare unter meinem Kommentar für die Deutsche Welle habe ich selber eine Antwort verfasst. Denn Debatten sind es, die nötig sind, und nicht Pauschalvorwürfe. Hier also meine Antwort (die bei DW nicht mehr veröffentlicht werden konnte, da die Kommentarfunktion nur kurzzeitig offen ist):

„Vielen Dank für die zum großen Teil kritischen Kommentare, auf die ich gerne kurz antworten möchte. Die Angehörigen der Opfer dieser grausamen Tat verdienen unser aller Mitgefühl und denen, die in Stockholm getötet worden sind, gilt es zu gedenken. Das ist bei einer solchen Tat eine Selbstverständlichkeit und anders als manch Kommentator schreibt, meine ich nicht, dass „die Opfer und ihre Familien schnell vergessen werden müssen“. Derartiges steht in meinem Kommentar nicht. Das wird jedem, der diesen wirklich gelesen hat, klar sein.

Was ich in meinem Kommentar hingegen tue, ist auf die gesellschaftlichen Folgen einer derartigen Terrortat zu fokussieren. Das heißt ganz und gar nicht, die schrecklichen Folgen für die Familien in Abrede zu stellen. Dass manch ein Leser es so gelesen hat, gibt mir zu denken, manchmal kommt man nich umhin zu erwägen, ob es Leser gibt, die aus einem Text nur das herauslesen, dass sie lesen möchten. Für eine Familie ist es grausam, einen Angehörigen durch eine derartige Terrortat zu verlieren, diesen gilt unser Mitgefühl.

Im Text erwähne ich auch andere Taten und Unfälle, die in Teilen dem aktuellen Attentat ähneln. Immer wieder wird einem bei Vergleichen der Vorwurf gemacht, gleichzusetzen. Doch vergleichen und gleichsetzen sind verschiedene Dinge. Von daher wird in diesem Text Terror nicht mit einem Unfall gleichgesetzt. Verglichen werden kann, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das mag manchmal schwieriger sein als einfach gleichzusetzen, doch es sind die differenzierten Betrachtungen, die Diskussionen ermöglichen, die Politik und Gesellschaft weiterbringen können. Wer die Terrorgefahr überhöht und andere Risiken verdrängt (so sind alleine im Januar auf Deutschlands Straßen 234 Menschen ums Leben gekommen – Tendenz glücklicherweise fallend), hat einen großen Wunsch der Terroristen womöglich schon erfüllt: panisch und irrational zu reagieren.

Zuletzt noch kurz zum Zitat des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Es handelt sich selbstverständlich um eine Art bildhaften Vergleich. Ihm geht es explizit darum, was derartiger Terror (die Fliege) mit Europa (der Porzellanladen) macht. Auch Harari spricht also von gesellschaftlichen Auswirkungen und nur weil er die schrecklichen Folgen für die einzelnen Familien nicht erwähnt, negiert er diese noch lange nicht. Es geht auch ihm um eine Betrachtung der möglichen gesellschaftlichen Bedrohung. Das gesamte Interview mit ihm ist im Spiegel 12/2017 erschienen und auch online zu lesen (derzeit jedoch nur gegen Bezahlung). Dass Terrorismus (die Fliege) bekämpft werden sollte, dafür würde sich sicherlich auch Harari aussprechen.

Dass Terror durch geschlossene Grenzen nicht verhindert wird, zeigen Beispiele der letzten Jahrzehnte wie NSU und RAF. Und: Nein, andere (rechts- wie linksxtremistische) Terrortaten zu erwähnen, ist weder Gleichsetzung noch Verharmlosung islamistischen Terrors, sondern lediglich ein differenzierter Beitrag zur Debatte.“

Die Stille nach den Schüssen


KOPENHAGEN. Es ist leider so: wirklich überrascht hat das Attentat in Kopenhagen nur wenige. Lange war bekannt, dass die dänische Hauptstadt Anschlagsziel islamischer Terroristen ist.

Es ist das zweite Mal binnen nicht einmal vier Jahren, dass ich Terror in Nordeuropa hautnah miterleben muss.

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Trauernde vor der Hauptsynagoge von Kopenhagen (Foto: Bomsdorf)

Oslo, 22. Juli 2011 und nun Kopenhagen, 14. Februar 2015.

Die Anschläge in Norwegen haben die dortige Gesellschaft viel stärker getroffen. Das liegt natürlich daran, dass so viel mehr Menschen ermordet wurden, aber sicher auch daran, dass der Attentäter noch mehr aus der so genannten Mitte der Gesellschaft kam.

Anders Behring Breivik war norwegischer Christ und ein Islamhasser. Der Muslim Omar Abdel Hamid El-Hussein (die Polizei hat soeben seine Identität bestätigt) war als Sohn palästinensicher Eltern in Dänemark geboren und aufgewachsen, er war Judenhasser.

Dänemark ist durch den Anschlag kein anderes Land geworden, der 16. Februar, erster Wochentag nach den Anschlägen, war nicht so anders vom Freitag vor dem Terror.

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Unter Polizeischutz auf dem Weg zur Gedenkveranstaltung (Foto: Bomsdorf)

In den vergangenen Tagen habe ich für diverse Medien über die Attentate und die Lage im Lande berichtet. Ich hoffe, dass vor allem die einordnenden Stücke auch später noch lesens- und hörenswert sind.  Die ersten Nachrichten gab es bei Die Welt, wie die Dänen reagiert haben beschrieb ich ebenfalls für Die Welt, ausführlicher dann über die dänische Gelassenheit in einem Beitrag für Zeit Online und einer Kolumne für stern. Schließlich von der Gedenkveranstaltung und den Trauernden vor der Synagoge für FAZ.net.

Dem Künstler Lars Vilks, dem der Anschlag wohl gegolten hatte, habe ich mich in Gesprächen mit SRF aus der Schweiz und BR2 sowie Deutschlandradio Kultur gewidmet.

Bleibt zu hoffen, dass der Terrorismus in Europa nicht zunimmt. Doch zu befürchten ist, dass es weitere Anschläge geben wird.

Schüsse auf Kopenhagen und die Meinungsfreiheit


KOPENHAGEN. Kaum radelte ich heute Nachmittag am See entlang gen Westen jagten auf der anderen Seite des Wassers plötzlich Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene über die Straße. Das kommt hier ständig vor, in der Hinsicht hat man in Kopenhagen manchmal den Eindruck in New York zu leben. Etwas später stellte sich heraus: ein Anschlag! Die gen Osten fahrenden Fahrzeuge waren vermutlich auf dem Weg nach Østerbro.

Mit automatischen Waffen hatten dort kurz vor 16 Uhr zwei Attentäter einen Anschlag auf eine Veranstaltung zum Thema „Kunst, Blasphemie und Meinungsfreiheit“ verübt. Sie schossen auf den Veranstaltungsort, anwesende Polizisten erwiderten das Feuer und konnte so womöglich ein Blutbad verhindern. Ein Mann kam ums Leben, drei Polizisten sind verletzt. Im Jahr zehn nach den Mohammedkarikaturen ist der Terror in Kopenhagen angekommen. Oder soll man sagen nach Kopenhagen zurückgekommen, denn Anschlagversuche gab es hier schon zuvor, bisher aber ohne Tote.

Polizei und Politik sind bisher zurückhaltend Vorverurteilungen vorzunehmen, denn noch sind die Attentäter flüchtig. Doch weil Vilks an der Veranstaltung, auf die das Attentat verübt wurde, teilnahm, geht man vielfach wie in Frankreich vor einem Monat von einem islamistischen Hintergrund aus.

Den Stand der Dinge und erste Reaktionen habe ich hier für Die Welt zusammengefasst, hinweisen möchte ich auch auf dieses Interview, dass ich 2010 mit Lars Vilks für Focus führte.

Yahya Hassan jetzt auf Deutsch


KOPENHAGEN. Bereits im vergangenen Jahr schrieb ich auf Englisch einen Artikel über den dänischen Dichter Yahya Hassan fur The Wall Street Journal. Als ich ihn traf, war er polarisierte bereits Dänemark, war aber im Ausland nahezu unbekannt. Gestern nun ist sein Debut auf Deutsch erschienen und wir haben ein aktualisiertes Portrait auf der deutschen Seite wsj.de publiziert. Zu lesen ist es hier.

Die Gedichte sind bei Ullstein erschienen. In diesen und in Interviews stellt er die seiner Meinung nach heuchlerische Seite einiger Muslime und seines Vaters, der ihn angeblich schlug, dar und klagt darüber.

Hassan schreibt ausschließlich in Großbuchstaben, die Verse wirken wie geschrien und auch er schleudert im Gespräch die Worte oftmals mehr als dass er sie spricht. (Hier eine Leseprobe auf Deutsch beim Perlentaucher.)

Lesenswert ist das Buch, doch sollte jedem klar sein, dass nicht jeder Muslim ist wie die, die Hassan beschreibt und dass es auch Eltern gibt, die sich Christen nennen und ihre Kinder ebenso misshandeln. Eine Debatte anstoßen kann das Buch allemal.

Bleibt die Frage, was von der literarischen Qualität zu halten ist. Aufbau und Ton der meisten Gedichte sind sehr ähnlich. Es ist deshalb ermüdend eins nach dem anderen zu lesen. In etwa so wie wenn man eine Küsschen, Küsschen-Kurzgeschichte von Roald Dahl nach der anderen wegliest – so gut diese sind, spätestens nach der dritten ist der makabere Überraschungseffekt dahin.

Nachwirkungen eines Anschlags


KOPENHAGEN.Normalerweise steht Norwegen nur zweimal im Jahr für einen kurzen Augenblick im Zentrum der internationalen Medienöffentlichkeit: Wenn im Oktober der Preisträger für den Friedensnobelpreis bekanntgegeben wird und im Dezember, wenn diese wohl berühmteste aller internationalen Auszeichnungen bei einem Festakt im Rathaus verliehen wird. Doch am 22. Juli 2011 sorgte Anders Behring Breivik mit seinen Terrortaten dafür, dass seine Heimat Norwegen im Jahr der Tat und im Jahr danach immer wieder wegen Gewalt statt wegen Friedens wahrgenommen wurde. Der Anfang Dreißigjährige, der sich selber zum Terroristen geschult hatte, zündete erst im Regierungsviertel von Oslo eine Bombe und tötete so acht Menschen. Dann fuhr er zur Insel Utøya, wo die Jugendorganisation der Sozialdemokraten (AUF) ihr traditionelles Sommerlager abhielt, und erschoss weitere 69 überwiegend junge Menschen. Ein ganzes Land war im Schock. Schießereien sind in Norwegen sehr selten, einen Terrorakt diesen Ausmaßes gab es nie zuvor und war wohl weder im In-, noch im Ausland von jemandem für wahrscheinlich gehalten worden.

Heute ist Anders Behring Breivik zu einer Haftstrafe von 21 Jahren verurteilt worden (dazu hier die englische Version meines Beitrags für die Deutsche Welle). Wie von ihm selber erhofft, wurde er vom Gericht für zurechnungsfähig gehalten. Gutachter waren sich in der Frage uneinig gewesen und auch in der Bevölkerung war diskutiert worden, inwieweit eine solch grausame Tat von einem Menschen begangen worden sein kann, der zurechnungsfähig ist.

„Die Attentate werden unsere Generation prägen“, sagt Lars Ellingsgard Øverli. Der Fotograf ist Anfang 20 und in den vergangenen Monaten mit zwei ebenfalls jungen Kollegen durch Norwegen gereist, um die Jugend zu portraitieren, die im Alter der Fotografen und damit der meisten, der auf Utøya Ermordeten ist. Er meint, dass der 22. Juli 2011 für diejenigen, die heute im jungen Erwachsenenalter sind, ähnlich einschneidend ist, wie für deren Großeltern der zweite Weltkrieg, in dem Norwegen von Deutschland besetzt war.

Unmittelbar nach der Bombenexplosion am Nachmittag dieses Freitags vor etwas mehr als einem Jahr dachten viele an möglichen islamischen Terror. Doch stattdessen handelte es sich um den Terror eines rechtsextremen Anti-Islamisten. Anders Behring Breivik hatte aus Hass gegen die offene Gesellschaft gemordet. In einem kruden Manifest, dass er vor der Tat verschickt hatte, breitete er seine von Verschwörungstheorien und Rassismus geprägten Gedanken aus. Auf den ersten Blick schien der Attentäter aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen: Er stammte aus so genanntem gutbürgerlichen norwegischem Hause, war zuvor nicht weiter aufgefallen, konnte sich artikulieren und hatte einmal eine kleine Karriere in der rechtsliberalen bis rechtspopulistischen, aber etablierten Fortschrittspartei gestartet. All dies machte den Schock in Norwegen anfangs nur noch spezieller. Denn während islamistischer Terror stets wenn auch unwahrscheinlich, so denkbar schien, hatte niemand mit einer derartigen Tat eines heimischen Rechtsextremisten gerechnet. Dass war die erste Illusion, die in Norwegen aufgegeben werden musste.

Darauf reagierte die Bevölkerung auf eine ganz eigene Weise. Während ein Attentat von Islamisten vermutlich nicht zu kollektiven Reaktionen geführt hätte, war es in diesem Falle ganz anders. Zu tausenden gingen sie bei Demonstrationen und Trauerveranstaltungen auf die Straße, Einwanderer und jene, die aus Familien stammen, die seit ein oder zwei Generationen in Norwegen gelebt haben, Politiker aller im Parlament vertretenen Parteien – sie alle wollten gemeinsam ein Zeichen setzen, dass sie diesen Teil der norwegischen Gesellschaft nicht akzeptieren. Gleichzeitig erweckte diese kollektive Demonstration zumindest auch den Anschein, dass in Norwegen eben doch alle an der offenen Gesellschaft festhalten wollen, die der Attentäter so hasste. In dieser so schweren Zeit des 5-Millionen-Einwohnerlandes wurde Premierminister Jens Stoltenberg zur einenden Kraft (dazu schrieb ich nach dem Attentat diesen Artikel für Focus). Der Sozialdemokrat wurde mit seiner Empathie zum Landesvater. Stoltenberg war die Lichtgestalt in diesem entsetzlich düsteren Trauerstück. Ein Held der ruhigen und besonnenen Worte. Einer, der trauert, tröstet und klagt. Und auf schnelle Anklagen verzichtet. Unvergessen seine Worte: „Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit. Aber niemals Naivität.“ Denn naiv war es gewesen zu glauben, solche Menschen wie Behring Breivik gäbe es in Norwegen nicht.

Es sei, so erklärt der bekannte Autor Øyvind Strømmen damals, zwar fantastisch, wie die Menschen in Norwegen jetzt reagieren. „Wichtig ist aber auch, wie es in den kommenden Monaten und Jahren weitergeht.“ Das Land habe Probleme, und diese müsse man jetzt auch ansprechen. Die großen gesellschaftlichen Debatten, so forderte Strømmen, müsse man in Zukunft zivilisierter und offener führen. Insbesondere die Frage nach der „richtigen“ Integrationspolitik. Politiker der rechtsliberalen Fortschrittspartei sehen Migranten bislang nur als Problem, die Linke hingegen weigert sich, Schwierigkeiten mit den Zuwanderern überhaupt nur anzusprechen. „Drogenprobleme im Einwanderermilieu, undemokratische Ideen, mangelnde Homosexuellenrechte, Anforderungen, die an Sprachkenntnisse gestellt werden – all das hat vor allem die Linke nicht ernsthaft diskutieren wollen“, klagte Strømmen. Dass laissez-faire eine Form der Liberalität ist, ist die zweite Illusion, die seit dem 22. Juli 2011 zersprungen ist (mehr dazu auch in meinem bei Focus online erschienen Interview mit Thorvald Stoltenberg, Ex-Minister und Vater des Ministerpräsidenten).

Die dritte Illusion zeigte bereits kurz nach dem Attentat Risse, wurde dann endgültig Mitte August 2012 zerstört: Jene, dass die Institutionen in Norwegen fehlerfrei arbeiten. Ein kurz vor der Urteilsverkündung präsentierter Untersuchungsbericht zeigt, dass das nicht der Fall war. Auch in Norwegen wurde geschlampt. Der Geheimdienst hatte den Attentäter schon einmal auf dem Schirm und hätte womöglich eingreifen können. Die Polizei machte am Tage der Anschläge viele Fehler, hätte die Jagd auf die Jugendlichen, bei der der Großteil der Opfer umkam, womöglich verhindern, zumindest aber früher stoppen können (zum Kommissionsbericht hier ein Kommentar, den ich für WDR 5 schrieb).

Der transparente Prozess (hier dazu ein Kommentar des Kollegen Gunnar Hermann von  der Süddeutschen, mein im Focus erschienenes Interview mit Siri Marie Seim Sønstelie, einer jungen Norwegerin, die entkommen konnte, hier das für die Financial Times Deutschland geschriebene Porträt der Richterin, hier wird im norwegischen Morgenbladet der Prozess positiv kommentiert, hier wird im Dagbladet analysiert, wie der Prozess in Breiviks Pläne passt) aber, der der Würde der Opfer ebenso wie den Menschenrechten des Täters gerecht wurde, hat Norwegen gezeigt, dass es möglich ist, diese Tat systematisch aufzuarbeiten. Damit sie nicht auf ewig wie eine Last auf dem Lande liegt und damit so etwas nicht noch einmal geschieht.

Absolute Sicherheit gibt es nicht, schon gar nicht in einer offenen Gesellschaft. Die Gesellschaft ist es aber auch, die Taten verhindern kann, ohne dass dafür totale Überwachung notwendig wäre. So simpel es klingt, aber manch einer wäre womöglich nicht zum Gewalttäter geworden, hätte er sich mehr integriert gefühlt und von den Nachbarn und Mitmenschen ein klein bisschen mehr Aufmerksamkeit erfahren. Aufmerksamkeit, die – sollte jemand doch in Extremismus abdriften – dazu führen kann, dass dieser gefährliche Schritt bemerkt und so Greuel verhindert werden. Für diese Erkenntnis ist nicht einmal eine Untersuchungskommission notwendig.

Doppel-Scherz


KOPENHAGEN. Das israelische Künstlerduo Gil & Moti will Araber zu Freunden machen und der Homosexualität zur Normalität verhelfen – ab diesem Wochenende auch in Bochum (hier der Link zur Website des Museums, die in etwa so attraktiv gestaltet ist wie ein Leitz-Ordner). Ich habe die beiden anlässlich ihrer aktuellen Ausstellung in Kopenhagen getroffen.

Pat und Patachon, Gilbert & George, Eva & Adele, Schulz und Schultze – echte oder vermeintliche Zwillingspaare sind in Populärkultur wie Kunst ein Hingucker, oft unterhaltsam, manchmal (gewollt oder ungewollt) lächerlich. Nun also Gil & Moti. Doch mit wem der erstgenannten hat das israelische Künstlerpaar eigentlich am meisten gemein? Die beiden sind Männer, das spricht für das dänische Stummfilmduo Pat und Patachon, die Künstler Gilbert & George sowie Schulz und Schultze, das Zwillingspaar aus den Tim und Struppi-Comics. Sie sind Künstler – wie Gilbert & George und Eva & Adele. Sie sehen sich ziemlich ähnlich, ebenso Gilbert & George, Eva & Adele sowie Schulz und Schultze. Offensichtlichkeiten helfen also nicht weiter. Menschen und Werk muss auf die Spur gegangen werden. Für die online Ausgabe von art habe ich das anlässlich der noch andauernden Ausstellung in der Kunsthalle Nikolaj in Kopenhagen getan. Der Text bei art kann hier gelesen werden, zur Kunsthalle Nikolaj geht es hier.

Angriff auf Stockholm


KOPENHAGEN. Nobelpreisverleihungen, Wikileaks, Selbstmordattentat in Stockholm – dieser Tage ist im Norden so viel los wie selten. Der Blog wurde deshalb in den vergangenen Wochen sträflich vernachlässigt, wenngleich nicht völlig ignoriert. Nachgeliefert sei eine Woche nach dem Attentat in Stockholm hiermit zunächsteinmal der Hinweis auf meine Berichterstattung zum Thema in der Welt – online ist hier der große Bericht vom Tag des Anschlags und hier ein Text zum Attentäter (geschrieben gemeinsam mit dem Kollegen in London) zu lesen. Der schwedische Schriftsteller Jonas Hassen Khemiri hat in Dagens Nyheter seine Gedanken zum Attentat, zum uns und die und mehr aufgeschrieben.

Der Schächt-Verächter von Schweden?


KOPENHAGEN. Er könne keiner Fliege etwas zu Leide tun – vielleicht ist es jenes Image, das Jimmie Åkesson, anstrebt. Der junge Mann ist wie bekannt Parteivorsitzender der rechtspopulistischen Schwedendemokraten und frisch gewähltes Mitglied des schwedischen Reichstags. Als solches zieht er derzeit viel Aufmerksamkeit auf sich (auch dann, wenn er nicht gerade aus Protest die Kirche verlässt). Das norwegische Morgenbladet führte das Interview der Woche in der letzten September-Ausgabe mit dem Politiker. Dort offenbarte er, wieso die Ausländer Europa so gefährlich werden können. Es ist deren Umgang mit den Tieren!

Gefragt, ob es primär Muslime seien, die seiner Meinung nach lieber das Land verlassen sollten, antwortete Åkesson: „Das gilt für alle, die von kulturell rückständigen Ländern kommen. Muslime und andere, die fundamental unterschiedliche Sicht auf grundlegende Teile unserer Gesellschaft haben – Gleichstellung, Behandlung von Tieren, Demokratie und Konfliktlösung.“ Leider vertieft er sein Tier-Argument nicht. So bleibt nur, Vermutungen anzustellen – ist es das Schächten der Tiere, das Åkesson für so zurückgeblieben hält? Oder die Tatsache, dass in manchen Religionen kein Schweinefleisch gegessen wird oder vielleicht das Faktum, dass Rinder auf der Straße herumlaufen dürfen statt zusammengepfercht im Stall zu stehen? Jedenfalls ist es gut, dass man oder zumindest Åkesson die bösen Menschen daran erkennen kann, wie sie ihre Tiere behandeln. Noch habe ich nicht nachgeschaut, aber vielleicht schlagen die Sverigedemokraterna ja in ihrem Parteiprogramm vor, Asylantenheime nach der erzwungenen Abwanderung von 90 % der Einwanderer in Tier-Asyle umzubauen.